Der Zauberer der Smaragdenstadt
wer seid Ihr in Wirklichkeit?"
„In Wirklichkeit . . . Ach, in Wirklichkeit bin ich nur ein ganz gewöhnlicher Mensch, mein Kind."
Elli war wie vor den Kopf gestoßen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Der Eiserne Holzfäller hätte gleichfalls am liebsten losgeheult, doch besann er sich
rechtzeitig, daß er die Ölkanne nicht bei sich hatte.
Der empörte Scheuch aber schrie:
„Laßt Euch sagen, wer Ihr seid, wenn Ihr's selber nicht wißt! Ein Schwindler seid Ihr, pikapu, trikapu!"
„Ja, ihr habt ganz recht!" erwiderte das Männlein mit einnehmendem Lächeln und rieb sich die Hände. „Ich bin ein großer und schrecklicher Schwindler."
„Was sollen wir aber jetzt tun?" fragte der Eiserne Holzfäller, „wer gibt mir jetzt ein
Herz?"
„Und mir ein Gehirn?"
„Und mir Mut?"
„Freunde!" sagte Goodwin, „das sind doch alles Kleinigkeiten! Denkt lieber, welch
schreckliches Leben ich in diesem Schloß führen muß."
„Ihr führt ein schreckliches Leben?" staunte Elli.
„Ja, mein Kind", seufzte Goodwin. „Niemand in der weiten Welt weiß, daß ich ein großer Schwindler bin, der seit vielen Jahren allerlei List anwenden, sich vor den Menschen verstecken und sie hintergehen muß. Glaubt ihr, es ist leicht, den Leuten den Kopf zu verdrehen? Und zum Unglück kommt das immer an den Tag. Ihr habt mich entlarvt, und, offen gestanden, ich bin froh darüber." Das Männlein seufzte. „Natürlich hab ich einen Fehler begangen, als ich euch alle auf einmal einließ, dazu noch mit diesem verfluchten Hündchen..."
„Nehmt Euch in acht!" schrie Totoschka und fletschte die Zähne.
„Bitte um Verzeihung!" lenkte Goodwin ein und verneigte sich. „Ich wollte euch nicht kränken . . . Ja, was sagte ich nur? Ach so . . . Ich ließ euch ein, weil ich mich so entsetzlich vor den Fliegenden Affen fürchte."
„Ich verstehe überhaupt nichts mehr", sagte Elli. „Warum sah ich Euch dann in der Gestalt des Lebenden Kopfes?"
„Das ist sehr einfach", erwiderte Goodwin. „Folgt mir. Ich will's euch erklären."
Er führte die Freunde durch eine Geheimtür in eine Kammer hinter den Thronsaal. Dort sahen sie den Lebenden Kopf, die Nixe, das Ungeheuer, phantastische Vögel und Fische, die alle aus Papier und Pappe gefertigt und kunstvoll bemalt waren.
„Da seht ihr die Gestalten, die Goodwin annehmen kann, der Große und Schreckliche", lachte der entlarvte Zauberer. „Keine schlechte Auswahl, was? Sie würde jedem Zirkus Ehre machen!"
Der Löwe trat wütend an den Kopf heran und versetzte ihm einen Tatzenhieb, daß dieser über die Diele kollerte und wild die Augen rollte. Dann sprang er knurrend zurück. „Am schwersten ist es, die Augen zu lenken", erklärte Goodwin seufzend. „Ich stand hinter dem Schirm und zog an den Fäden, die Augen aber schauten immer in die verkehrte Richtung. Es ist dir wahrscheinlich aufgefallen, mein Kind?"
„Ich wunderte mich", erwiderte Elli, „aber ich war so erschrocken, daß ich nichts verstand."
„Mit dem Schreck hab ich gerechnet", gestand Goodwin. „Obwohl meine Verwandlungen nicht immer klappten, merkten die Besucher vor Schreck nicht, was daran falsch war." „Und der Feuerball?" schrie der Löwe.
„Vor Euch habe ich mich am meisten gefürchtet, und so machte ich aus Watte einen Ball, übergoß ihn mit Spiritus und zündete ihn an. Er hat schön gebrannt, nicht wahr?" Verächtlich wandte sich der Löwe von dem großen Schwindler ab.
„Schämt Ihr Euch nicht, mit den Leuten solchen Schabernack zu treiben?" fragte der Scheuch.
„Anfangs schämte ich mich, aber dann gewöhnte ich mich daran", erwiderte Goodwin. „Kommt jetzt in den Thronsaal, ich will euch meine Geschichte erzählen."
GOODWINS GESCHICHTE
Goodwin hieß seine Gäste in den weichen Sesseln Platz nehmen und begann: „Mein Name ist James Goodwin, ich bin in Kansas geboren..." „Auch Ihr seid aus Kansas?" wunderte sich Elli.
„Ja, mein Kind", seufzte Goodwin. „Ich bin dein Landsmann. Vor vielen Jahren verließ ich meine Heimat. Ich war tief ergriffen, als du vor mich tratest, aber weil ich entlarvt zu werden fürchtete, schickte ich dich zu Bastinda."
Goodwin blickte beschämt zu Boden. „Allerdings hoffte ich, die silbernen Schuhe würden dich schützen, und wie du siehst, hab ich mich auch nicht geirrt... Aber zurück zu meiner Geschichte. In meiner Jugend war ich Schauspieler, spielte Könige und Helden, dann sah ich aber, daß diese Beschäftigung wenig einbringt, und wurde Ballonist . . ."
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