Vampirwelt
»Tommy!«
Der angesprochene Moderator Tom Hayer schaute hoch, als er die Stimme hörte. »Was gibt’s denn?«
»Zwanzig Sekunden! Hast du noch einen Wunsch?«
Durch die Scheibe sah Tom die drei grinsenden Gesichter. Es waren seine Kollegen. Der Regisseur der Sendung, der Tontechniker und dessen Assistent.
»Keinen.«
Sie wollten ihn aufziehen, das war klar. Tom Hayer starrte den roten Mikrofonkopf an, der wie ein eingefrorener Blutstropfen auf der Halterung stand. »Doch, ich habe noch einen Wunsch«, korrigierte er sich, während er auf die Studiouhr schaute.
»Raus damit!«
»Ihr könnt mich mal alle kreuzweise…« Die nächsten Worte mußte er verschlucken, da genau in diesem Moment das Rotlicht aufleuchtete. Er war gleich auf Sendung.
Hayer rückte den Kopfhörer in die richtige Position und wollte seine Hörer begrüßen. Wie jeden Tag. Ein lockerer Spruch wurde erwartet.
Diesmal blieb er Tom im Hals stecken, denn der Moderator erlebte ein nie gekanntes Grauen!
***
Wie mehrere Blitzschläge zugleich trafen ihn die Schmerzen. Sie waren nicht zu kontrollieren, sie wuchteten von verschiedenen Seiten in seinen Kopf, und sie waren so schlimm, daß er sie nicht mal beschreiben konnte. Für einen Augenblick saß er da wie erstarrt. Als wäre er auf dem Sitz festgefroren. Er hatte den Mund weit aufgerissen, die Augen quollen ihm aus den Höhlen. Er konnte auch keinen Atem mehr holen, die Starre und die Schmerzen verhinderten es.
Sie zerrissen seinen Kopf. Sie töteten alles ab. Sie zwangen ihn zu einer Reaktion.
Seine drei Kollegen beobachteten ihn genau. Sie hatten noch nicht richtig mitbekommen, was sich da abspielte. In den folgenden Sekunden sollten sie es merken.
Die Schreie waren nicht nur furchtbar. Selbst ein Mensch mit Phantasie hätte sie kaum beschreiben können. Es waren Urlaute, wilde, schreckliche Signale, übertourig und schrill, und sie liefen über den Sender. Zumindest so lange, bis der Regisseur eingriff und den Sendeverlauf änderte. Er spielte Musik ein. Seine Kollegen waren bleich wie gestrichene Kirchenwände, während Tom Hayer noch immer in dem Studio saß und gellend schrie.
Plötzlich schüttelte er den Kopf. Der Kopfhörer rutschte ihm bis auf die Schulter und blieb dort hängen. Sein Mund stand weit offen. Speichel lief über die Unterlippe an der rechten Seite entlang und rann als glänzender Faden über Kinn und Hals.
Seine Schreie waren noch immer zu hören, nur klangen sie jetzt nicht mehr so abgehackt, sondern wie eine Sirene.
Das Schlimmste aber folgte noch.
Blut spritzte plötzlich aus den Ohren, verteilte sich im Studio und klatschte gegen die schallbestückten Wände, auf deren beigen Untergrund dicke Flecken zurückblieben.
Blut schoß auch aus dem Mund des jungen Mannes. Blut rann auch aus der Nase, es sickerte aus den Ohren, während der Schrei zu einem Wimmern geworden war, das nur allmählich verklang.
Als der Regisseur die Studiotür aufriß, achtete er nicht auf das Blut, nur auf den Mann, der sehr langsam zur Seite kippte. Gerade langsam genug, um ihn auffangen zu können, bevor er hart zu Boden schlug.
Tom lag in den Armen des anderen. »Einen Arzt, verdammt!« schrie der Regisseur. Er zitterte. Er holte stoßweise Luft, und er wußte nicht einmal, ob er einen Toten festhielt.
So etwas hatte er noch nie erlebt, das würde er auch nicht mehr erleben.
Er konnte sich keinen Reim auf die Geschichte machen. Schließlich war Tom Hayer völlig in Ordnung gewesen.
Jetzt das.
Inzwischen hatten sich mehrere Personen versammelt. Der Chef vom Dienst drängte sich in das Studio. Er sah das Blut, er starrte blicklos auf die beiden jungen Männer und konnte nur immer wieder den Kopf schütteln. Wie auch die anderen begriff er nichts, gar nichts…
***
Manchmal gibt es Zufälle im Leben, die begreift man nicht. Ich bin ein Mensch, der im Prinzip nicht an den Zufall glaubt, ihn aber auch nicht ausschließt. Natürlich war ich nicht intelligent genug, um den Zufall berechnen zu können, so etwas gibt es ja auch, aber in diesem Fall sah ich ihn schon mehr als Bestimmung an.
Aber ich will der Reihe nach erzählen.
Es war mal wieder Sommer, ein kühler Sommer mit viel Regen. Heiß war es dagegen im Frühjahr gewesen.
Die Menschen sehnten sich nach Sonne. Immer wieder schielten sie gen Himmel oder hörten den Wetterbericht ab, in der Hoffnung, daß man ihnen mehr Sonne versprach.
Es gab solche Tage.
Zwischendurch heiterte es immer wieder auf, wenn auch nur für
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