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Der Zeitsprung

Der Zeitsprung

Titel: Der Zeitsprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inka Loreen Minden
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– ein ekelhafter Kerl in einer zerrissenen speckigen Uniform stand plötzlich vor ihr. Er wirkte wie eine Karikatur seiner Feinde. »Was für ein leckeres Vögelchen!« Der Fettwanst musterte sie und leckte sich über die wulstigen Lippen. Es sah aus, als wollte er die Hand nach ihrem langen Haar ausstrecken, als er von einem Säbel durchbohrt wurde. Das schmuddelige Wams färbte sich dunkelrot, und er sackte langsam zusammen.
    »Mylady«, grüßte der englische Offizier knapp und nickte ihr zu, bevor er seine Waffe wieder aus dem Rumpf des Seeräubers zog und ansatzlos weiterkämpfte.
    Ach du heilige Scheiße! Das ist mir etwas zu realistisch! Lisa ließ sich wieder zu Boden gleiten und verkroch sich wie bisher zwischen den Fässern. Nur, dass sie jetzt genauestens darauf achtete, keinen Zipfel ihres Nachthemds hervorblitzen zu lassen.
    Wenn sie durch den Spalt nach draußen spähte, sah sie die blicklosen Augen des Gefallenen. Das ist vielleicht eine erotische Fantasie meiner alten Deutschlehrerin, aber ich finde das Ganze eher abstoßend. Ein eiskalter Schauer kroch über ihren Rücken; die dämpfende Wirkung des Joints ließ schlagartig nach und Lisas Verstand beschäftigte sich kritisch mit ihrer Lage. Ich muss es herausfinden …
    Sie angelte vorsichtig nach dem Messer, das direkt neben dem Toten auf den Planken lag, und nahm es mit zitternden Händen an sich. Es geht nicht anders. Entschlossen zog sie die Klinge über ihre Daumenkuppe. Der plötzliche Schmerz ließ sie zusammenzucken.
    »Ich hatte mir schon so etwas gedacht«, murmelte Lisa, als sie den kleinen Schnitt fassungslos anstarrte. Sie kroch noch tiefer in den Zwischenraum und hielt den Messergriff mit beiden Händen fest umklammert.

    Darius Crowe stand schwer atmend inmitten einer Blutlache, die Hände in die Seiten gestemmt, und sah seiner Crew dabei zu, wie sie den überlebenden Blauröcken die Ketten anlegte. Seine Männer waren schon dabei, alles Wertvolle und Verkäufliche von der englischen Fregatte zu holen, bevor sein erster Offizier Grayson Claybruke mit dem Dreimaster und den Gefangenen nach Tortuga fahren würde. Das Schiff sollte ein schönes Sümmchen zusätzlich einbringen, und auf die Blauröcke wartete der Sklavenmarkt.
    Doch die Lady, die er zuvor kurz erblickt hatte, würde er für sich behalten. Wahrscheinlich war sie die Tochter des britischen Kapitäns, der leider das Zeitliche gesegnet hatte, oder irgendeine andere hochtrabende Persönlichkeit. Nachdem er sich ausreichend mit ihr vergnügt hatte, würde er ein großzügiges Lösegeld für ihre Freilassung aussetzen. Doch zuerst musste er sie in seine Kabine schaffen. Darius war nicht der Einzige hier an Bord, der seit Wochen keine Frau mehr gehabt hatte, und er wollte sie ganz für sich allein.
    Bevor er seine Klinge in die Schärpe steckte, wischte er das blutverschmierte Metall an den weißen Hosen eines toten Soldaten ab und überquerte dann mit ausladenden Schritten das Deck. Über die Leichen stieg er einfach drüber, so, als würden sie nicht existieren. Es waren nicht nur Blauröcke darunter, auch seine eigenen Leute. Aber da Darius schwer darauf bedacht war, niemanden näher an sich heranzulassen, bedeutete ihm der Verlust seiner Männer lediglich ein Mehr an Arbeit für die Überlebenden. Im Laufe der Jahre hatte er schon so viel Tod und Zerstörung gesehen, dass da kein Platz mehr für Mitleid oder Trauer in seinem Herzen war.
    Unwirsch riss er sich das besudelte Hemd vom Körper und warf es über die Reling, nachdem er sich die gröbsten Blutspuren von der Haut gerieben hatte – die zum Glück nicht seine eigenen waren. Außer ein paar Kratzern und blauen Flecken hatte er keine ernsthaften Verletzungen davongetragen.
    Die warme, salzige Brise umspielte sofort seine verschwitzte Gestalt und verursachte eine Gänsehaut. Er war mit dem Leben davongekommen. Für dieses Mal.
    Es trennten ihn nur noch wenige Meter von den Fässern, als ein seltsames Funkeln seinen Blick auf die Planken lenkte. Dort lag ein kleiner grüner Stein. Da er wertvoll aussah, fackelte Darius nicht lange und steckte ihn ein. Dann ging er in die Hocke, um die Lady aus ihrem Versteck zu ziehen, doch als er eine Hand nach ihrem Fuß ausstreckte, spürte er plötzlich kalten Stahl an seinem Hals.
    Überrascht sah er auf und blickte direkt in ein Paar smaragdgrüner Augen, die ihn aus dem Schatten giftig anfunkelten wie eine angriffslustige Katze. Darius’ Herz setzte einen Schlag aus. Mochte diese

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