Der stumme Handlungsreisende
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Die erste halbe Stunde nach
dem Frühstück brachte ich damit zu, mein Geld zu zählen.
Mein Bargeld. Die zweitausend Dollar, die meine eiserne Reserve waren. Ich
kam genau auf $ 938.
Kein schlechtes Ergebnis für
Geld, das mir gehört, Geld aus fast drei Jahren Arbeit. Vor allem,
wenn man bedenkt, daß ich es in einer Kassette aufbewahre, die ich
nicht einmal vor mir selbst verschließe. Ein Schloß kann ich
mir nämlich nicht leisten. Das einzige Hindernis, das ich mir in den
Weg gelegt habe, ist ein mir ansonsten recht freundlicher Schnappschuß
meiner Herzdame, die mir einen strengen Blick zuwirft. Das Foto soll meine
Selbstdisziplin ankurbeln.
Das Geld war damals auf einen
Schlag gekommen, zusammen mit dem Brief eines dankbaren Klienten. Ein
freiwilliges und unerwartetes Geschenk. Dem Brief erwies ich die Ehre
eines eigenen Aktenordners, und das Geld wollte ich nicht anrühren,
bis ich es wirklich brauchte.
Ich brauchte es.
Den ganzen Juni über
hatte ich in meinem Büro gesessen, nur von der Hand in den Mund
gelebt und mich gefragt, warum kein Mensch in ganz Indianapolis einen so
preiswerten Detektiv wie mich engagieren wollte.
Bei meinen Kontakten, meiner
Intelligenz, meiner Integrität … meinen niedrigen Honoraren.
Aber dann fiel es mir wie
Schuppen von den Augen. Im Juni wird geheiratet.
Im Juli wurde mir klar, daß
man sich noch in den Flitterwochen befindet…
Im August hätte sich
jedoch zumindest der Geschäftszweig Scheidungen erholt haben müssen.
Hatte er aber nicht.
Am Montag, dem Achten, hatte
ich mich entschlossen, aktiv zu werden. Zu meinen starken Seiten gehört
es, daß ich auch zum Handeln bereit bin. Wenn mir nichts anderes
mehr einfällt. Ich ging also zum Star in die Anzeigenaufnahme.
Riesiger Detektiv-Schlußverkauf
im August
20 % Preisnachlaß auf
alle Nachforschungen,
einschließlich
Scheidungen, wenn Sie sich
noch im August entschließen
Ich fand meine Idee damals gar
nicht schlecht. Die Anzeige erschien am Dienstag morgen.
Aber Dienstage sind ja
bekanntlich immer sehr ruhig. Weil alle Hausfrauen und Hausmänner am
Dienstag mit der großen Wäsche beschäftigt sind.
Oder war das am Montag?
Am Mittwoch morgen ging ich
als erstes zur Bank und hob mein Geld ab. Dann ging ich wieder nach Hause,
frühstücken. Die Annonce sollte die ganze Woche über
erscheinen, auch am Sonntag. Es war meine erste Zeitungsannonce, seit ich
1863 meine Tätigkeit aufgenommen hatte. Irrtum, 1963.
Natürlich laufen die
Dinge schlecht für mich, seitdem ich im Geschäft bin. So ist
mein ganzes Leben; ich tappe von einem Mißgeschick zum nächsten.
Aber mehr als tausend Dollar weniger zu haben von etwas, was ich überhaupt
nicht hätte, wäre da nicht jene unerwartete Anwandlung von
Dankbarkeit gewesen… Das war schlimm.
Um 10.15 Uhr klingelte das
Telefon.
»Albert Samson. Kann
ich Ihnen behilflich sein?«
Eine Männerstimme
fragte: »Sind Sie Albert Samson?«
»Jawohl.«
»Derjenige, der diese
Anzeige aufgegeben hat und 20 % Preisnachlaß gibt, wenn ich meine
Scheidung jetzt in die Wege leite?«
»Genau.«
»Meinen Sie das
ehrlich?«
»Ich weiß nicht
recht, was ich darauf sagen soll…«
»Also entweder meinen
Sie das ehrlich, oder Sie meinen es nicht ehrlich. Soll das ein Witz sein
oder nicht?«
»Es ist kein Witz. Es
ist vollkommen ernst gemeint.«
»Also, ich finde, es
ist ein abscheulicher Witz, Samson. Ich halte das Ganze für eine
absolute Geschmacklosigkeit, damit Sie’s nur wissen.« Er hängte
ein.
*
Den ganzen Rest des
Vormittags flackerte die ohnehin schwache Glühbirne meines Bewußtseins
nur noch. Wenn sie ausging, träumte ich davon, eine andere Art von
Arbeit zu tun. Etwas zu sein… irgend etwas. Nicht irgend etwas.
Genug zu verdienen, um nach Abzug der Unkosten Steuern zahlen zu müssen.
Wenn die Birne wieder einmal
aufleuchtete, nutzte ich die Zeit dazu, mir die
Namen der 1969er Mets aufzusagen. Das waren die, die aus dem Nichts kamen,
den National Baseball League Pennant gewannen und dann auch noch die World
Series.
Wir hatten eine Menge
gemeinsam, die Mets von 1969 und der Albert Samson von 1977. Beide
starteten wir von ganz unten in den Sommer.
Um zwölf zog ich mich
zum Mittagessen in mein Hinterzimmer zurück. Um zwanzig vor eins hörte
ich ein unverkennbares Geräusch: Jemand versuchte, meine Tür zu
öffnen.
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