Der Ziegenchor
ist, in ein äußerst unterhaltsames, ergreifendes und lehrreiches Lesevergnügen verwandeln wird, und Sie außerdem um Geduld zu bitten, während ich mich mit dem ganzen faden Stoff befasse, der nun einmal zuerst behandelt werden muß. Wenn Sie dazu bereit sind, dann stellen Sie sich jetzt vor, sich am ersten Tag der Großen Städtischen Dionysien im Dionysostheater auf der Agora in Athen zu befinden und an diesem heißen Tag den langen Weg von Marathon oder Eleusis auf sich genommen zu haben, um das neueste Stück des berühmten Komödiendichters Eupolis von Pallene zu sehen. Vorher müssen Sie aber erst noch drei anscheinend nichtendenwollende Tragödien über solch banale und abgegriffene Themen wie den Untergang von Troja, die Rache des Orestes oder die Sieben gegen Theben durchstehen. Doch sind Sie willens, Ihre Zeit und Geduld zu opfern, weil Sie ganz genau wissen, daß eine Komödie von Eupolis stets das Warten wert ist. Sobald dann der Chor in den prächtigen Kostümen auf die Bühne strömt und die Eröffnungsnummer singt, werden Sie sich gerade wegen des faden Zeugs, das sie zuvor ertragen mußten, nur um so mehr amüsieren.
Eben ist mir der Gedanke gekommen, daß einige noch junge und unwissende Leser möglicherweise nie etwas von Eupolis von Pallene gehört haben, dem großen Dramatiker der Komödie. Vielleicht kennen Sie bisher nicht einmal meinen Namen. Womöglich sind für Sie sogar die Großen Dionysien ein Fremdwort, oder Sie haben in Ihrem Leben noch nie ein Theaterstück gesehen. Falls das tatsächlich der Fall ist, weiß ich wirklich nicht, was ich Ihnen erzählen soll, außer daß die Großen Dionysien eins der beiden jährlich in Athen abgehaltenen Theaterfeste sind. Zu diesem Anlaß werden an drei aufeinanderfolgenden Tagen neue Stücke aufgeführt, wobei die jeweils mustergültigste Komödie und Tragödie von einer zwölfköpfigen Jury mit einem Preis ausgezeichnet werden. In meiner Jugend habe ich häufig den Preis für die beste Komödie gewonnen, aber ganz bestimmt nicht oft genug. Doch bevor wir uns jetzt damit eingehender beschäftigen, sollten wir dieses Thema lieber ein für allemal abhaken, dann kann ich nämlich endlich mit meiner Erzählung fortfahren.
In diesem Buch kommen zahlreiche Punkte vor, bei denen man sich durchaus vorstellen kann, daß man eigentlich genauer darauf eingehen müßte. Trotzdem werde ich sie ganz gewiß nicht alle einzeln erläutern, denn das wäre für den Leser unerträglich langweilig. Falls ich also im Verlauf meiner Erzählung etwas erwähne, das Sie nicht verstehen oder noch nie gehört haben, empfehle ich Ihnen, die Ruhe zu bewahren. Versuchen Sie einfach, unter Einsatz Ihres Verstands dem weiteren Handlungsverlauf durch den Textzusammenhang auf die Spur zu kommen; so, wie ich es mein ganzes Leben lang tun mußte. Stellen Sie sich einfach vor, dies wäre gar kein Buch, sondern irgendein spannendes Gespräch, das Sie heimlich in den öffentlichen Bädern oder auf dem Fischmarkt belauschen.
Und jetzt sollte ich endlich mit meiner Erzählung beginnen. Sie werden schon bald von meiner Dichtkunst so gefesselt sein, daß alle Probleme, über die ich mir den Kopf zerbrochen habe, wie schlechte Träume an einem Markttag verpuffen werden.
Athen, wie es zu meiner Kindheit war. Also, ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß Sie nicht wenigstens ein kleines bißchen über die Glanzzeit der Stadt wissen, die zwischen den Perserkriegen und dem Krieg mit Sparta lag. ›Das waren zu jener Zeit zwei Riesen‹, wie dieser Einfaltspinsel Teleklides in einem seiner Stücke sagt, denn das war die Zeit, als die Tragödien von Aischylos noch nicht so alt waren, daß man sie bereits vergessen hatte, als sich Sophokles auf dem Höhepunkt seines Schaffens befand und ein junger Mann namens Euripides allmählich immer mehr an künstlerischem Einfluß gewann. In jenen Tagen legte Perikles jeden zweiten Monat den Grundstein zu einem neuen Tempel, und die Tributgelder aus dem Großen Athenischen Reich, zu dem Athen nach der Gründung des Ersten Attischen Seebunds geworden war, strömten wie ein über die Ufer tretender Fluß in die Stadtkassen.
Rückblickend scheint es sich zumindest so darzustellen. Ich bin in Attika geboren und aufgewachsen, und die gesamte Halbinsel stand immer unter dem Einfluß Athens; trotzdem hatte ich damals, als die großen Männer, über die heutzutage so viele Einzelheiten bekannt sind, ihre Namen in das Buch der Geschichte schrieben, mit der
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