Der Ziegenchor
plötzlich lächelte er nachsichtig.
»Das finde ich wirklich nett von dir und ist eines echten Atheners würdig«, fiel ihm meine Antwort von damals ein. »Und da es deine Ziege ist, wirst du auch sicher über ihre Angewohnheiten Bescheid wissen. Du kannst sie herzlich gern behalten, mein Freund. Sie heißt Phaidra, Tochter des Theokrates, und wohnt gleich hinter dem Brunnenhaus.«
Auf dieses Angebot hin brachen alle Serenadensänger in schallendes Gelächter aus, obwohl mir der Grund schleierhaft blieb. Dann setzte sich der ganze Zug wieder in Bewegung, stimmte aus vollem Hals das Lied über die Festung Leipsydrion an und ließ mich, Kallikrates und das Mädchen allein zurück. Welche Erleichterung wir dabei empfanden, kann man sich wohl leicht vorstellen.
Das Elternhaus des Mädchens konnten wir gleich daran erkennen, wie man die Tür eingetreten hatte, und wir entließen Phaidra in die Arme ihrer Eltern, die ihre Tochter schon verloren gegeben hatten. Als wir das Haus betraten, waren Theokrates und seine Frau sogar in Tränen aufgelöst, knieten an der Feuerstelle und streuten sich Asche aufs Haupt. Doch als sie aus Phaidras Mund erfuhren, daß man sie gerettet hatte, bevor man ihr etwas Schlimmeres hatte antun können, waren sie außer sich vor Freude. Kallikrates war so edel, die geglückte Rettung ganz meiner raschen Geistesgegenwart zuzuschreiben, woraufhin man mich umarmte und mir die Füße in duftendem Wasser wusch. Ich fühlte mich wie Herakles, als er Thanatos, dem Tod, im Ringkampf die bereits gestorbene Alkestis entriß.
»Das ist wirklich nicht der Rede wert, ich bitte euch«, beteuerte ich immer wieder. »Das war wirklich das mindeste, was ich tun konnte.« Aber dabei sah ich natürlich nicht die Eltern an, sondern einzig und allein Phaidra, die mir durch die niedergeschlagenen Wimpern hindurch flüchtige und errötende Blicke zuwarf, wie es Mädchen nun einmal tun – ich vermute fast, diesen Kniff lernen Mädchen schon in frühem Alter von ihren Müttern. Bei genauer Betrachtung war Phaidra ein sehr hübsches Mädchen, und ich nehme an, Sie können schon erraten, was in meiner unbedarften jungen Seele vorging.
»Das war jetzt aber wirklich das letztemal, daß dieser Kerl unser Haus betreten hat«, sagte Phaidras Mutter gerade. »Es ist mir auch völlig egal, wieviel Geld er hat oder wer seine reichen Freunde sind. Außerdem ist er bereits verheiratet. Wenn er also jemals wieder… Na ja, kein Wunder, wir hätten Phaidra niemals aus…«
In diesem Moment stieß ihr Gatte sie unter dem Tisch mit dem Fuß an und bot uns mit lauter Stimme Wein und Honig an. Ich hätte auf das Wörtchen ›niemals‹ achten sollen, war aber viel zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt.
»Unsere Phaidra ist das beste Mädchen in ganz Attika«, begann Theokrates. »Sie verfügt über alle Fertigkeiten, kann kochen und singen und kennt sogar ihren Hesiod. Nicht wahr, mein Schatz?« Er sah seine Tochter finster an, bis sie endlich nickte. Danach warf er mir einen bedeutungsvollen Blick zu, der mir fast den Verstand geraubt hätte, einen langen Blick, mit dem Väter normalerweise nur Junggesellen in jüngeren Jahren ansehen, kurz bevor sie darangehen, die Höhe der Mitgift auszurechnen. »Außerdem gehören ihr unten an der Küste noch fast zwanzig Morgen Land. O ja, der junge Mann, der unser kleines Mädchen einmal bekommt, kann sich wirklich glücklich schätzen.«
Dabei fällt mir ein, wie ich einmal einkaufen ging und auf dem Markt ein wirklich schönes Pferd erblickte. Ich blieb eine Zeitlang stehen, und weil ich keinen einzigen Fehler an dem Tier entdecken konnte, ging ich zum Händler hinüber und fragte ihn nach dem Verkaufspreis. Aber anstatt meine Frage zu beantworten, hob der Mann zu einer langen und lautstarken Lobrede auf die Tugenden des Tieres an, die er ungefähr zur Hälfte beendet hatte, als das Pferd plötzlich den Hals ausstreckte und mir ohne ersichtlichen Grund äußerst schmerzhaft in den Arm biß. Anders ausgedrückt: Wenn ein Händler anfängt, Waren zu loben, die auch ohne nähere Beschreibung schon gut genug aussehen, sollte man sich schleunigst die Ohren zuhalten und weitergehen. Leider hatte ich diese Erfahrung damals noch nicht gemacht. Kallikrates hingegen roch anscheinend den Braten, denn er wurde allmählich unruhig. Da es aber nun einmal meine große Stunde war, brachte er es vermutlich einfach nicht übers Herz, sich einzumischen, und beließ es lediglich bei einer Andeutung, daß
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