Der Ziegenchor
wirklich wegen Zauberei anzeigen?« fragte ich ihn schließlich. »Glaub mir, wir wären dir ewig dafür dankbar.«
»Natürlich«, erwiderte der Fremde, der langsam zurückwich und dabei kein Auge von der schwarzen Ziege wandte. »Ich werde noch heute zum Archon gehen.«
Dann machte er auf dem Absatz kehrt und eilte in rasender Geschwindigkeit davon. Ich schaffte es, das Lachen zu unterdrücken, bis er nicht mehr zu sehen war. Als ich wieder nach Hause kam, erzählte ich meinem Vater sofort die ganze Geschichte. Der dachte natürlich, ich hätte mir die Sache vollauf aus den Fingern gesogen, und ließ mich zur Strafe fünfzig Zeilen von Hesiod auswendig lernen.
Nun, das war meine erste Begegnung mit Aristophanes. Die zweite trug sich über sieben Jahre später zu. Trotzdem erkannten wir uns beide sofort wieder.
Mein Vetter Kallikrates und ich befanden uns gerade auf dem Nachhauseweg von einer ermüdenden Abendgesellschaft mit einigen von Kallikrates’ langweiligen Freunden, auf der wir nur sehr mäßig getrunken und über das Justizwesen diskutiert hatten. Auf den Straßen war es so dunkel wie in einem Kohlenkeller, und deshalb ließen Kallikrates und ich den ganzen Weg über die Hand am Schwertgriff. Wir waren schon fast zu Hause und in Sicherheit, als wir um eine Ecke bogen und sich uns plötzlich der Anblick bot, den der nächtliche Wanderer mehr als alles andere fürchtet, der Anblick einer Bande von Serenadensängern.
Vielleicht sind Sie noch nie in Athen gewesen, und möglicherweise legen die Jugendlichen in Ihrem Heimatort ein besseres Benehmen an den Tag. Darum werde ich Ihnen jetzt erklären, was so alles mit einer Serenadensängerbande verbunden ist. Eine Gruppe junger Männer, im allgemeinen aus der Vermögensklasse der Reiterei, trifft sich auf einem Fest, das man nicht gerade aufregend findet. Also reißt man sich die noch vorhandenen Reste an Wein und die besser aussehenden Flötistinnen unter den Nagel, entzündet Fackeln und macht sich auf den Weg, um ein aufregenderes Fest zu finden. Auf der Suche nach der vollkommenen Feier scheut die Gruppe keine Mühe und läßt nichts unversucht. Man drängt auf den Marktplatz und stürmt in die ›Säulenhalle der Wandbilder‹ hinein und wieder hinaus, dann übergibt man sich vor der Säulenhalle der Hermen, überquert den Marktplatz und kämpft sich, immer begleitet von grölendem Gesang und dem Klang der Flöten, von Haus zu Haus bis zum Hügel in Richtung Akropolis vor, wobei man wie eine spartanische Armee eine Schneise der Verwüstung hinterläßt. Natürlich hat man auch auf einem derartigen Streifzug die unvermeidlichen Verluste zu beklagen: Einige der wackeren Sänger kippen einfach um und fallen auf der Stelle in tiefen Schlaf, während andere, die sich auf ihrem Weg urplötzlich unter dem Fenster ihrer Freundin wiederfinden, einfach stehenbleiben, um so lange ein Lied über das Ausgesperrtsein vorzutragen, bis man ihnen einen Kübel Abwasser ins Gesicht schüttet. Im großen und ganzen bleibt die Gruppe jedoch dicht zusammen, wie eine schwerbewaffnete Fußtruppe auf feindlichem Territorium; denn während der Zug der Serenadensänger als Ganzes in gewisser Weise Aphrodite und Dionysos heilig ist, kann jeder einzelne Nachzügler von den Ordnungshütern verhaftet oder von einem Bürger wegen Vandalismus angezeigt werden. Das allgemeine Ziel der meisten Serenadensängerbanden besteht in der Eroberung der Akropolis und dem Umsturz der Demokratie. Doch da es in der langen Geschichte der Stadt noch nie eine Serenadenbande geschafft hat, viel weiter als bis zur Münzanstalt zusammenzubleiben, haben sich aus diesen Vorgängen nie bedeutende politische Veränderungen ergeben.
Die Bande von Serenadensängern, vor der ich nun mit meinem Vetter Kallikrates stand, bot einen wirklich furchterregenden Anblick. Sie setzte sich aus wenigstens vierzig jungen, mit Myrte geschmückten Männern zusammen, die Schwerter und Fackeln trugen und das Harmodioslied sangen. Die etwa zehn Mädchen in ihrer Begleitung machten einen zu Tode erschrockenen Eindruck, und darunter bemerkte ich auch ein Mädchen, das keineswegs zu den Sklavinnen gehörte, sondern vermutlich aus einem der von der Bande heimgesuchten Häuser entführt worden war.
Am Hals dieses Mädchens hing niemand anders als Aristophanes, der ganz offensichtlich einer der Anführer dieser Bande war. Er brüllte aus Leibeskräften – ich glaube, er schrie Befehle, wie ein Taxiarchos –, und seine Kumpane
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