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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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es für uns Zeit zum gehen sei. Diese Bemerkung überhörte ich natürlich, da Phaidra gerade Wein und Honig mit geriebenem Käse gebracht hatte. Als ich den Becher erhob, streifte ich mit den Fingern an ihrer Hand entlang, und sie schienen zu brennen, als hätte ich mich versehentlich auf einen glühendheißen Dreifuß gestützt.
    »Wer war unser edelmütiger Gegner eigentlich?« fragte Kallikrates gerade in die Runde. »Eupolis scheint ihn nämlich auch zu kennen, wollte mich aber nicht in das Geheimnis einweihen.«
    Theokrates spukte betont auffällig ins Feuer und antwortete: »Das war Aristophanes, der Komödiendichter, Sohn des Philippos von Kydathene. Morgen früh werde ich gleich als erstes mit dem Archon über ein Verfahren wegen Entführung sprechen.«
    Für einen kurzen Augenblick vergaß ich sogar Phaidra. »Aristophanes?« hakte ich nach, wobei sich meine Stimme fast überschlug. »Etwa der Aristophanes, der einen Chor auf die Bühne gebracht hat, in dem unsere Verbündeten wie babylonische Sklaven gekleidet sind und in einer Tretmühle laufen?«
    Theokrates schnaubte verächtlich. »Das ist doch eine uralte Masche«, erwiderte er. »Das findet man schon bei Kratinos in Die Sardinen. Aber um das zu wissen, bist du noch zu jung.«
    Nun unterhielten wir uns natürlich über Komödien und danach über Tragödien, bis schließlich die Morgendämmerung anbrach und es an der Zeit war, nach Hause zu gehen. Ich weiß noch, wie ich in dem fahlroten Licht der aufgehenden Sonne durch die Straßen ging und mir einredete, ich müsse erst gestorben und dann als Gott wiedergeboren worden sein, ganz so, wie es die Pythagoreer behaupten. Wie hätte ich mir sonst erklären sollen, daß ich im Zeitraum einer einzigen kurzen Nacht dem großen Aristophanes begegnet war und ihn im Kampf besiegt hatte, die Parabase der Komödie hatte vortragen können, an der ich gerade schrieb (und die den alten Theokrates anscheinend prächtig amüsiert hatte), und vor allem die Erlaubnis erhalten hatte wiederzukommen, wann immer ich wollte? Der letzte Punkt konnte nur eins bedeuten: Falls es unseren beiden Familien gelingen sollte, sich auf entsprechende Bedingungen zu einigen, konnte ich Phaidras Freier werden, da wir beide das richtige Alter hatten, noch nicht versprochen waren und unsere Familien zueinander paßten. Erst als ich wieder zu Hause war und ins Bett ging, blitzten für einen kurzen Moment Aristophanes’ Worte über Phaidras Angewohnheiten in meiner Erinnerung auf, aber bevor ich darüber nachdenken konnte, war ich bereits fest eingeschlafen.
    Obwohl im Laufe der Jahre schon viele Leute um die Ehre meiner Feindschaft gewetteifert haben, behaupte ich nach wie vor, daß ich mir selbst der schlimmste Feind bin.

5. KAPITEL

     
    Dieses Buch ähnelt ein wenig meinem Vetter Amyklaios, der überhaupt keinen Orientierungssinn besitzt. Schon auf dem Land findet er sich nicht zurecht, aber das ist noch gar nichts gegen seine Hilflosigkeit in der Stadt, wo er seinen Standort um keinen Deut besser zu bestimmen weiß als ein Blinder. Zu allem Unglück ist er der felsenfesten Überzeugung, der geborene Navigator zu sein, und beteuert ständig mit dem größten Nachdruck, eine kleine Abkürzung hier oder einen Rückweg dort zu kennen, was natürlich nie der Wahrheit entspricht. Aber weil Dummköpfe unter dem besonderen Schutz der Götter stehen, besitzt Amyklaios das fast unheimliche Talent, letztendlich doch immer genau dort zu landen, wo er landen will, auch wenn er selbst nichts dafür kann.
    Mit mir und dem Verfassen von Prosa verhält es sich genauso. Beim Schreiben beginne ich mit der Absicht, dem Leser eine Geschichte zu erzählen, werde dann von irgend etwas abgelenkt, das mich interessiert, und verliere mich schließlich im Uferlosen. Jetzt sind wir allerdings – ganz fahrplanmäßig – an dem Punkt angelangt, an dem ich gerade Phaidra kennengelernt hatte und kurz davor war, den langwierigen Prozeß zu unserer Verlobung einzuleiten. Im Grunde sind wir der Zeit sogar ein ganzes Stück voraus, und deshalb werde ich Ihnen von meiner ersten Begegnung mit den Spartanern berichten, während wir gemeinsam darauf warten, bis uns der Haupterzählstrang wieder eingeholt hat.
    Wie ich Ihnen bereits erzählt habe, bevor ich zu Kleon abgeschweift bin, hatte ich als Folge der Pest ein recht großes Stück Land geerbt. Kaum hatte ich die eigentliche Bedeutung dieser Erbschaft begriffen, verspürte ich das dringende Verlangen, unverzüglich

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