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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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aufzubrechen und den ganzen Besitz genauer in Augenschein zu nehmen. Da Philodemos und Kallikrates grundsätzlich nichts gegen diese Idee einzuwenden hatten – schließlich ist es nur recht und billig, daß sich ein Mann für seine Besitztümer interessiert und die Aufsicht darüber nicht irgendeinem Verwalter oder Sklaven überläßt –, machten wir uns also auf die Reise.
    Heutzutage ist aufgrund der Zusammenlegung von Landbesitz und des Kaufs und Verkaufs von Grund und Boden aus rein kaufmännischen Überlegungen natürlich alles ganz anders. Aber zu meiner Zeit konnte Grundeigentum einzig und allein durch Vererbung den Besitzer wechseln, und deshalb gehörten den meisten Leuten, die mehr als vier, fünf Morgen Land besaßen, zumeist gleich mehrere kleinere Parzellen, die über ganz Attika verstreut waren, und auch ich bildete da keine Ausnahme. Ganz abgesehen von den Ländereien meines Vaters in Pallene und Phyle (wirklich gute Besitzungen, wenn auch ein wenig zu hügelig) besaß ich überall in Attika Landflecke, von Prasiai bis Eleutherai und Oropos. Zugegebenermaßen war keine dieser Parzellen besonders groß, und auf einigen davon konnte man zur Rast nicht einmal eine Decke ausbreiten, ohne unerlaubterweise den Boden von mindestens zwei Nachbarn zu betreten – was ich allerdings als nicht sonderlich hinderlich empfand.
    Bis Eleutherai ließen mir Onkel und Vetter meinen Willen, doch dabei riß ihnen fast der Geduldsfaden, wie es so schön heißt – und das kann ich den beiden nicht einmal verübeln, denn mit meiner ewigen Prahlerei und meinem ständigen Eigenlob muß ich ein ziemlich unerträglicher Reisegefährte gewesen sein. So bestand ich darauf, auch den letzten Quadratmillimeter meines Bodens zu untersuchen, obwohl allmählich die Jahreszeit näherrückte, da vernünftige Menschen längst wieder in die Stadt zurückkehrten. Wir hatten nahezu alles gesehen, was es zu sehen gab, bis auf einen winzigen Fleck auf den Hängen des Kithairon von allerhöchstens einem Morgen, der etwa vier Generationen zuvor als zusätzlicher Anreiz zum Ehevertrag draufgeschlagen worden war und auf dem das letztemal, als sich jemand die Mühe gemacht hatte nachzusehen, nur ein paar knorrige alte Olivenbäume standen.
    Wir übernachteten in einer Herberge in Eleutherai, und es trafen bereits die ersten Berichte vom Heranrücken des spartanischen Heeres ein, das offenbar zu seiner alljährlichen Ferienreise aufgebrochen war. Kaum hörte Philodemos davon, bezahlte er die Rechnung und ordnete an, unsere Maultiere zu beladen.
    »Reisen wir etwa schon ab?« fragte ich besorgt. »Wir haben uns doch noch gar nicht das Land auf dem Kithairon angesehen.«
    »Jetzt sei kein Narr«, antwortete Philodemos. »Du hast doch gehört, was die Schafhirten sagen: Die Spartaner sind bald hier.«
    »Das ist mir doch egal«, entgegnete ich wütend. »Ich will mein Land sehen!«
    »Hör mal, Eupolis«, erwiderte Philodemos geduldig, »einer der großen Unterschiede zwischen Landbesitz und den Spartanern ist der, daß das Land dort bleibt, wo es ist. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist es auch noch im Sommer da, wenn die Spartaner längst wieder zu Hause sind. Wenn du darauf bestehst, können wir dann wiederkommen. Aber jetzt gehen wir erst mal nach Hause.«
    »Ihr könnt das gern tun, wenn ihr möchtet, aber ich will mir mein Land ansehen.«
    »Hör mal, Eupolis«, erwiderte Philodemos nicht mehr ganz so geduldig, »du kannst tun und lassen, was du willst. Kallikrates und ich kehren nach Hause zurück, solange noch Zeit dafür ist. Wenn du unbedingt hierbleiben und dich umbringen lassen willst, mußt du das mit deinem eigenen Gewissen ausmachen.«
    Durch die Besichtigung meiner sämtlichen Ländereien war ich ausgesprochen hochnäsig geworden und antwortete sinngemäß, daß weder ich noch mein Gewissen sich von einer Bande spartanischer Knoblauchfresser abhalten ließen, von unserem Eigentum Besitz zu ergreifen. Danach versuchte Kallikrates, mich zur Vernunft zu bringen – er hatte mit aufmüpfigen Kindsköpfen immer mehr Geduld als sein Vater –, doch gerade dadurch stellte ich mich noch sturer, denn als er mir die Gründe darlegte, sah ich ein, daß ich im Unrecht war. Philodemos bekam daraufhin einen Wutanfall und stürzte hinaus, während sich Kallikrates nicht vom Fleck rührte.
    »Willst du etwa nicht mit ihm gehen?« fragte ich ihn von oben herab.
    »Mach nicht alles noch schlimmer!« ermahnte mich Kallikrates zornig. »Ich kann dich doch

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