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Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle

Titel: Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hardebusch
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geöffnet und den mit Pergament bespannten Rahmen entfernt.
    »Du solltest den Armen nicht so verspotten«, erklang eine leise Stimme von der Tür, und Natiole drehte überrascht den Kopf.
    »Ionnis. Schön, dich zu sehen, Bruderherz. Hast du etwa gelauscht?«
    »Deine Tür stand offen, und ich empfand es als unhöflich, in eure Unterhaltung zu platzen.«
    Unwirsch wandte Natiole sich wieder ab.
    »Bist du gekommen, um mich über das korrekte Benehmen gegenüber Bediensteten zu belehren?«
    »Nein. Ich bin hier, um dich an deine Pflichten zu erinnern. Heute ist ein wichtiger Tag, und du tätest gut daran …«
    »Schon gut«, unterbrach ihn Natiole brüsk. »Ich kenne meine Pflichten auch ohne deine weisen Worte. Ich steige gleich in mein Kostüm und mime den gefälligen Thronprinzen.«
    Wütend funkelte er seinen jüngeren Bruder an, hoffte auf eine trotzige Erwiderung, doch dieser schwieg, die dunklen Augen unverwandt auf Natiole gerichtet. Man sagte den Brüdern nach, einander ähnlich zu sehen, doch
Natiole kannte die Unterschiede in ihren Zügen nur zu genau: während Ionnis’ schmales Gesicht dem ihrer Mutter glich, war Natiole, so hatte er es immer wieder gehört, das Ebenbild seines Vaters in jungen Jahren. Nun, er hätte gut darauf verzichten können. Von mir aus könnte er auch aussehen wie Şten, schoss es Natiole durch den Kopf, da er ja auch in allen anderen Dingen ganz der Sohn unseres perfekten Vaters ist.
    Der Umstand, dass Ionnis recht hatte, ließ Natioles Widerspruchsgeist erwachen. Er hatte auf dem Ausritt getrödelt und viel zu viel Zeit verschwendet. Eigentlich sollte er bereits unten in der großen Halle sein und die Würdenträger begrüßen. Aber der Gedanke an einen Tag voller falscher Höflichkeiten im übergroßen Schatten des Landesvaters hatte Natiole lustlos werden lassen und war nicht dazu angetan, ihn zur gebotenen Eile anzutreiben.
    Natürlich war Ionnis bereits für die Feierlichkeiten angekleidet, edel und dennoch nicht protzig, ein würdiger wlachkischer Prinz.
    Doch zusätzlich zu seinem grauen Wams mit dem Raben auf der Brust trug er bronzene, spiralförmige Armreifen, wie Natiole irritiert bemerkte. Mit dem Kopf deutete er auf den Schmuck: »Ist dir die Tracht deines Landes nicht gut genug?«
    »Ich trage die Tracht meines Landes, wie du so schön sagst. Die hier sind ein Geschenk.«
    Die Armreifen stammten aus dem Dyrischen Imperium, und sie waren ein Symbol für alles, was Natiole und Ionnis inzwischen voneinander schied. Vor vielen Jahren waren sie unzertrennlich gewesen, er und sein kleiner Bruder, doch der Fluss der Zeit hatte sie in unterschiedliche Richtungen getragen. Während Ionnis von ihrem Vater ins Imperium gesandt worden war, um dort ausgebildet zu werden, war Natiole in Wlachkis geblieben. Damals hatte Ionnis geweint, als ihn die Kutsche fortbrachte, und auch
Natiole hatte in der Nacht Tränen vergossen, als man sie trennte.
    Doch als der jüngere Bruder wiederkehrte, waren bereits junge Männer aus ihnen geworden, verschiedene Männer, deren Gespräche nur zu oft in Streit endeten. Ionnis war in der Fremde beinahe selbst zu einem Dyrier geworden mit seinem kurzen Haar, seinem weibischen Schmuck und seiner Art, jedermann mit Worten umgarnen zu können. Das leicht spöttische Lächeln, das beständig um Ionnis’ Lippen zu spielen schien, stachelte Natioles Zorn nur weiter an.
    »Du solltest dich an deine Herkunft erinnern, Ionnis. Du bist Wlachake, kein Dyrier.«
    »Ich weiß sehr gut, wer und was ich bin«, erwiderte der Gescholtene ruhig. »Ich bin es nicht, der unserem Haus Schande macht.«
    »Schande?«
    Natiole sprang aus dem Stuhl hoch und trat drohend auf seinen Bruder zu. In diesem Moment kehrte Oanes zurück, der vor Schreck erbleichte. Mit zitternder Hand stellte er einen Becher Wein auf den flachen Tisch und flüchtete in das Nebenzimmer.
    »Heute feiert ganz Wlachkis unsere Familie und das, was unsere Eltern dem Land gegeben haben. Wir erinnern uns an die Taten unserer Vorfahren und an das Blut, das sie vergossen haben. Heute feiern die Wlachaken sich selbst, weil sie viel erlitten haben, um feiern zu können. Und du? Du sitzt wie ein schmollendes Kind in deiner Kammer und weigerst dich, deine Gewänder anzulegen!«
    Jetzt hatte der sonst so gefasste Ionnis doch die Stimme erhoben. Erzürnt hob Natiole den Finger und hielt ihn seinem Bruder ins Gesicht. »Wage es nicht, so mit mir zu sprechen! Ich gedenke der Helden der Befreiung! Mehr als andere

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