Der Zwergenkrieg
Entscheidung, sie zu begleiten, längst bereut hatte. Nicht ohne Häme dachte sie, dass ihm das ganz recht geschah. Was hatte er sich ihnen auch derart aufdrängen müssen?
Trotzdem gefiel es ihr nicht, dass es innerhalb ihrer Gruppe Spannungen gab. Eine Weile lang schaute sie zu und tat, als berühre sie Styrmirs Schicksal nicht, doch dann geschah etwas, das ihr schlagartig klarmachte, dass es an der Zeit war, einzuschreiten.
Am Abend des neunten Tages saß sie mit Egil, Gellir und Bollis rund um die knisternden Flammen eines Lagerfeuers. Es war kühl in dem endlosen Tunnel, und obwohl sie als Zwerge an die Kälte der Bergestiefen gewöhnt waren, machte ihnen der ewige Luftzug zu schaffen, der ihnen von Norden entgegenwehte. Der Brennholzvorrat, den sie mit sich führten, war äußerst begrenzt, doch sie hatten am Nachmittag ein eisiges Gewässer durchqueren müssen, und so hatte Grimma die Order ausgegeben, vier kleine Feuer anzuzünden. Für gewöhnlich kamen sie mit einem aus, doch heute mussten sie ihre Kleider trocknen und entsprechend nah an die Flammen rücken. So saßen sie in vier Gruppen um die Feuerstellen und unterhielten sich leise.
Plötzlich wies Gellir ins Dunkel, zur Westwand der Zwergenstraße. »Seht ihn euch an!«, brummte er abfällig. »Hockt da und schreibt alles auf, was wir reden.«
Grimma erkannte in der Düsternis Styrmir, der abseits der Feuer dasaß und mit einer Feder etwas in ein gebundenes Büchlein schabte.
»Verfluchter Schnüffler!«, schimpfte Egil. »Er horcht, ob irgendwer ein böses Wort über den König verliert.« Er hatte laut genug gesprochen, dass auch einige der Krieger an den anderen Feuern aufhorchten.
Bollis fiel kichernd mit ein. »Am besten wäre es, wenn er in irgendeine Felsspalte fiele.«
»Ja«, pflichtete ein Zwerg am Nebenfeuer bei. »Ein Unfall. Sehr traurig.«
Grimma traute ihren Ohren kaum. »Seid ihr des Wahnsinns?«, zischte sie und sprang auf. »Unter meinem Befehl wird es nichts dergleichen geben!« Sie deutete auf den Zwerg, der zuletzt gesprochen hatte, dann auf Bollis. »Ihr beiden, steht auf!«
Die Krieger sprangen blitzschnell auf die Füße.
»Ich habe etwas verloren«, sagte Grimma schneidend. »Heute Nachmittag, als wir durch dieses Wasserloch gewatet sind. Es ist ein Siegelring König Thorhâls. Ihr zwei werdet zurückgehen und ihn suchen. Wenn ihr stramm durchmarschiert, solltet ihr am Morgen wieder bei uns sein.«
Sie hatte nie einen solchen Ring besessen, und jeder ihrer Krieger wusste das. Der Zwerg vom Nebenfeuer wollte aufbegehren, doch Bollis schlug ihm hart gegen die Schulter. »Du hast gehört, was Grimma gesagt hat. Gehen wir!« Der Zwerg straffte sich einen Moment lang, dann nickte er verdattert. Wenig später waren die beiden in der Düsternis verschwunden.
Grimma drehte sich um und ging hinüber zu Styrmir. Sie spürte, wie ihr die Blicke aller anderen folgten, dann hörte sie zufrieden, dass Egil die Krieger anschnauzte, sich gefälligst nur um das zu kümmern, was sie etwas anginge.
Styrmir schaute ihr finster, aber auch voller Neugier entgegen. Spielte da ein leises Lächeln um seine Lippen? Grimma wünschte sich, ihn im Dämmerlicht besser erkennen zu können. Als sie näher kam, klappte er das Büchlein zu, verkorkte sein Tintenfass und legte beides zusammen mit der Feder in den Rucksack.
Grimma setzte sich ohne Aufforderung zu ihm. So weit von den Feuern entfernt, spürte sie die Kälte noch deutlicher, und sie fragte sich, ob ihre Strafe für Bollis und den anderen Krieger nicht zu hart gewesen war. Aber nein, sie hatte richtig gehandelt. Sie durfte nicht zulassen, dass ihre Männer auf solche Gedanken kamen, geschweige denn sie aussprachen.
»Deine Krieger haben es nicht leicht mit dir«, bemerkte Styrmir, und jetzt sah sie, dass tatsächlich ein Schmunzeln um seine Mundwinkel zuckte. Seine glatte Haut und das bartlose, tätowierte Kinn konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass er den kantigen Unterkiefer und die markanten Züge seiner Ahnen geerbt hatte.
»Die beiden hatten Strafe verdient«, sagte sie und blickte fest in seine braunen Augen. »Ich werde nicht zusehen, wie irgendein dummer Zwist diese Truppe spaltet.«
»Oh«, sagte er mit einem Lachen, das frische Milch hätte gerinnen lassen, »von spalten kann keine Rede sein. Hättest du den beiden ihren Willen gelassen, so hättest du deine Männer wohl nie in größerer Einigkeit erlebt.«
»Für die Dauer dieser Reise bist du einer meiner
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