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Der Zwergenkrieg

Der Zwergenkrieg

Titel: Der Zwergenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Halle hinauf, vor sich mehrere Zwerge und Nordlinge. Hinter ihnen ertönte ein Fauchen wie von einem lebenden Wesen. Ein Donnern wie der Weltuntergang, ein Kreischen und Splittern und Bersten, als rissen die Götter selbst den Himmel entzwei. Schlagartig wurde das Fauchen zum Prasseln und das Prasseln zu einem einzigen, infernalen Getöse.
    »Die Flut kommt!«, brüllte Mütterchen, aber es war gleichgültig, ob irgendwer sie hörte. Alle wussten, dass der Tod ihnen eng auf den Fersen war.
    Die Felsschicht, die der Bohrer zerstört hatte, gehörte nicht zum eigentlichen Flussbett – der Rhein strömte viel weiter oben, höher noch als die Horthalle –, war offenbar aber durch eine Vielzahl von Spalten mit dem Strom verbunden. Hätte der Fluss selbst sich durch den Tunnel gewälzt, so wäre wohl keinem von ihnen auch nur die Zeit für einen letzten Atemzug geblieben. So aber kam die Flut zwar schnell und mit einer Kraft, die die einer jeden Kreatur tausendfach überstieg; trotzdem blieb allen, die in diesem Augenblick in die Horthalle stürmten, eine leise Spur von Hoffnung. Hoffnung, der Katastrophe doch noch zu entrinnen. Hoffnung, am Leben zu bleiben.
    Es war ein aufwühlendes, zugleich auch beängstigendes Gefühl, dieses Hoffen auf ein wenig Glück.
    Ein trügerisches noch dazu.
    Denn im selben Augenblick wehte ihnen allen ein Schub eisiger Kälte in den Rücken.
    Mit der Kälte kam Nässe.
    Und die Nässe war nur der Vorbote einer Flutwelle, die alles übertraf, was sich selbst ein Schwarzseher wie Alberich hätte ausmalen können.
    Am Eingang der Halle stand Geist und sah mit Entsetzen, wie sich hinter ihren Freunden eine Wand aus weißer, brodelnder Gischt aufbaute. Als Vorbote der Flut schoss ein hüfthoher Wasserteppich durch den Saal, riss die drei Gefährten von den Beinen, warf Nordlinge und Zwerge durcheinander. Geist war einen Moment lang wie versteinert, konnte nichts anderes tun als dazustehen und zuzusehen, wie der Tod ihre einzigen Freunde holen würde, und bald, in drei, vier Herzschlägen, auch sie selbst.
    Und dann
spürte
sie es.
    Wasser schnellte über den Hallenboden auf das Tor und auf das Moosfräulein im Spalt zwischen den Flügeln zu. Als die ersten Ausläufer Geists Fußspitzen berührten, durchfuhr sie ein Hitzestoß wie der Einschlag eines Blitzes. Irgendwo in ihrem Inneren – nicht nur in ihrem Kopf, überall, in ihrem ganzen Körper – regte sich etwas. Eine Bewegung, ein Pulsieren, ein Druck, der ihre Sinne aufblähte, ihre Empfindungen schärfte. Der Drache erwachte aus seinem Schlummer, nicht die schuppige, bösartige Bestie selbst, sondern das, was sie beherbergt hatte. Das Erbe einer Magie, die jenseits aller Taschenspielertricks der Alben lag, jenseits simpler Hexerei und Nekromantie.
    Alles geschah im Bruchteil eines Augenblicks. Für Geist war es, als wäre das Rad der Zeit aus seiner Spur geraten, als drehte es sich langsamer, um dann ganz stillzustehen. Die Umgebung erstarrte. Das Wasser zu ihren Füßen, die herandonnernde Flutwelle, der vergebliche Kampf ihrer Gefährten gegen den Untergang, all das versteinerte zu einem einzigen, scharf umrissenen Augenblick. Geist wusste, dass es eine Täuschung war, dass sie selbst sich mit einem Mal
zwischen
den Augenblicken befand, wie ein Leser, der zwischen den Zeilen eines Buches verharrt.
    Es war das Wasser. Millionen und Abermillionen pflanzlicher Lebewesen, zu klein, um sie mit bloßem Auge zu erspähen. Und doch war die heranbrausende Flut derart davon durchsetzt, dass Geist unter dem Ansturm fremder Empfindungen fast zusammenbrach. Mühsam versuchte sie, bei Verstand zu bleiben, bis der erste Moment der Überraschung und des Schmerzes vergangen war. Anders als in der Grotte, wo sie sich vom Bewusstsein der zornigen Moospflanzen hatte lenken lassen, versuchte sie nun, den Vorgang umzukehren. Diesmal wollte sie diejenige sein, die die Kräfte in ihrem Inneren steuerte, es war ihr Körper, und sie allein hatte das Erbe des Drachen angetreten. Aber sie wusste auch, dass sie auf die Pflanzenwesen im Wasser angewiesen war, dass sie sie brauchte, um von ihrer Kraft zu zehren. Nur so konnte sie die Magie in sich zwingen, ihr zu Diensten zu sein.
    Sie schuf geistige Kanäle, durch die magische Ströme mit der Geschwindigkeit von hundert Flutwellen schossen, und endlich bekam Geist sie unter ihre Kontrolle. Ein stummes Beben raste durch die erstarrten Wassermassen, als sich alles Leben in ihnen zusammenzog und etwas formte, das wie

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