Der Zypressengarten
verknüpft Clementine ihn mit ihren eigenen Erlebnissen, sodass er für sie genauso bedeutsam wird, wie er es für dich einmal war.«
Sie nahm seine Hand. »Grey, Schatz, du hast die ganze Geschichte wunderbar verständnisvoll aufgenommen.«
»Vergiss nicht, wie viele Jahre ich schon gewartet hatte, dass du dich mir öffnest.«
»Also ist Geduld deine bewundernswerteste Eigenschaft.«
»Ich hätte ewig gewartet. Allerdings wäre vieles so viel einfacher gewesen, hättest du mich von Anfang an eingeweiht. Ich hätte dich niemals verurteilt.«
»Ich weiß. Nur war es zu schmerzlich, es auszusprechen. Heute kann ich offen über meinen Sohn reden.« Sie lächelte glücklich und atmete einmal tief ein. »Mein Sohn – was für herrliche Worte.«
»Wer hätte gedacht, dass Rafa und Clementine, dein Sohn und meine Tochter, sich finden?«
»Was leider auch bedeutet, dass ich deine Ex bei der Hochzeit im Mai ertragen darf.«
»Sie wird ertragen müssen, dass sie im Polzanze gefeiert wird, was um einiges schlimmer sein dürfte.«
»Und ich lerne Maria Carmela kennen.« Sie bebte vor Aufregung. »Sie bringt Fotos von Rafa mit. Was für ein Glück, dass er so ein schönes Zuhause hatte. Ich schulde Pater Ascanio so viel, wie auch Zazzetta, den ich immer für einen bösen Mann hielt.« Sie trank noch einen Schluck Wein. »Im Grunde ist mein Leben besonders reich, weil ich es zweimal lebe. Ohne die schreckliche Schicksalswendung damals wäre ich dir, Clementine und Jake nie begegnet – oder Biscuit«, fügte sie hinzu, als sich der Hund neben ihr auf die Decke fallen ließ und interessiert am Picknickkorb schnupperte.
»Wer weiß, was wir heute für Menschen wären, hätten wir uns nie kennengelernt?«
»Das ist eine schwierige Frage, über die man endlos nachdenken könnte.«
»Umso besser, dass wir den ganzen Nachmittag haben, sie zu erörtern.«
Als sie zum Polzanze zurückkehrten, wurde es schon dunkel. Die Tage wurden jetzt kürzer, das Sonnenlicht schwächer, und das Gras war mit knisterndem Laub und stachligen Kastanien gesprenkelt. Einzig die Tauben gurrten auf den Dächern, als wäre noch Sommer.
Marina blickte hinauf zu dem Haus, das sie so sehr liebte, und dachte an Dante, der all dies möglich gemacht hatte – und der wieder ein Teil ihres Lebens war. Nun konnte sie sich mit Freude zurückerinnern, und während sie es tat, tauchten lang vergrabene Bilder auf, ähnlich Blumen, die sich durch den Schutt von Ruinen ans Licht drängten. Marina konnte es endlich genießen, sie im Geiste zu betrachten.
Zwischen lauter wilden Blumen jedoch wuchs auch eine schöne Rose mit kräftigen Dornen, die anzusehen Marina schmerzte. Deshalb ignorierte sie diese Blüte, obwohl sie mit jedem Tag größer und verlockender wurde. Bis sie eines Winternachmittags im Dezember in die Hotelhalle kam, wo Jennifer am Telefon war.
»Ah, hier kommt sie gerade«, sagte sie, nachdem sie eine Grimasse gezogen hatte. »Es ist für Sie.« Sie hielt Marina den Hörer hin.
»Wer ist das?«
Jennifer hob die Schultern. »Keine Ahnung. Sie sagt, sie ist eine alte Freundin von Ihnen. Eine Costanza.«
Epilog
Rafa und Clementine schlenderten durch den Garten von La Magdalena. Seit ihrem Einzug waren erst zwei Monate vergangen, trotzdem fühlte es sich an, als würden sie schon ihr ganz Leben hier wohnen. Maria Carmela war über den Sommer gekommen und saß oft zum Lesen in dem Meerjungfrauengarten, den Violetta so gemocht hatte, und Dantes Töchter kamen häufig mit ihren Familien zu Besuch, sodass wieder einmal viel Kinderlachen vom Swimmingpool zu hören war. Biscuit hatten sie bei Marina im Polzanze gelassen, denn La Magdalena wimmelte von streunenden Hunden und Katzen, die Dante gerettet hatte, und Rafa und Clementine liebten sie alle.
Die Sonne hing tief im Westen, färbte den Himmel in ein durchsichtiges Pink und warf bläulichgraue Schatten über den Rasen. Grillen zirpten, Vögel begaben sich lauthals zur Nachtruhe. Der Duft von Pinien und Eukalyptus lag schwer in der feuchten Luft, und Clementine atmete ihn genüsslich ein. Sie kostete die Gerüche des fremden Landes aus, das sie sich als Heimat ausgesucht hatte. Es dauerte nicht lange, bis sie an die Stelle kamen, wo die Grundstücksmauer oben eingebrochen war und eine Lücke ließ, die niedrig genug war, um darüberzuklettern.
»Ich frage mich, warum Dante es nicht ausbessern lassen will«, sagte Rafa, während er auf die Mauer zuschritt. Er nahm einen kleinen Steinbrocken,
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