Des Kaisers Gespielin (German Edition)
Wand. Kurze Zeit später verrieten mir ihre tiefen regelmäßigen Atemzüge, dass sie eingeschlafen war.
5.
Ich wachte am nächsten Morgen ungewöhnlich spät auf und fühlte mich überraschend entspannt und ausgeruht. Wer hätte gedacht, dass mir die erste Nacht in fremder Umgebung so gut tun würde? Ich war allein im Zimmer und nutzte die Gelegenheit, mich ausgiebig zu dehnen und zu strecken und dann in Ruhe meine neuerworbenen Kleider zu sichten. Für den heutigen Tag entschied ich mich für ein einfaches weißes Baumwollkleid, das wunderhübsch mit hunderten kleiner Blumen bestickt war. Für einen kurzen Moment fragte ich mich, wem wohl das Kleid vorher gehört hatte. Es war einfach zu hübsch, um es in die Kleiderkammer zu legen, es sei denn... Ich wollte eigentlich nicht darüber nachdenken, was mit der einstigen Trägerin geschehen war, konnte ich ihr Schicksal doch genauso wenig beeinflussen, wie mein eigenes. Aber ein bitterer Beigeschmack blieb. Ich drehte mich einmal um mich selbst und stellte zufrieden fest, dass der Rock wie eine Glocke federleicht um meine Beine schwang. Es war lange her, dass ich etwas derart Schönes besessen hatte und die Freude darüber wog schwerer als die Sorge. Anschließend begab ich mich in den Speisesaal, um ein hervorragendes Frühstück aus frischen Früchten und noch warmem dampfendem Brot zu mir zu nehmen. Nona war nirgendwo zu sehen und so blieb ich für mich. Als mein Teller beinahe leer gegessen war, fand mich Rosa und deutete mir, ihr zu folgen. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass die junge Sklavin schon seit geraumer Zeit ungesehen in einer Ecke auf mich gewartet hatte, zu perfekt war der Zeitpunkt ihres Erscheinens, gerade als ich meinen letzten Bissen geschluckt hatte. Wenn sie gewollt hätte, dass ich pünktlich bin, hätte sie mich eben wecken müssen, dachte ich spitzbübisch und folgte ihren kleinen flinken Trippelschritten. Sie war nicht eben gesprächig, meine hilflosen Versuche Konversation zu betreiben schien sie nicht einmal zu hören. In der hintersten Ecke eines weit abgelegenen Ganges blieb sie stehen, wies mit dem Kopf fast unmerklich auf die Tür und verschwand dann blitzschnell in der nächstgelegenen Ecke. Wahrscheinlich um mir später aufzulauern, dachte ich wieder spöttisch, aber verdrängte diesen zugegebenermaßen ungerechten Gedanken sofort wieder aus meinem Kopf. Immerhin tat sie hier auch nur, was von ihr verlangt wurde, musste ich mir selbst gegenüber einräumen.
Ich legte meine Hand auf die Klinke, nachdem ich mich ausreichend gesammelt hatte, und mit einem kurzen Stoßgebet auf den Lippen öffnete ich die Tür. Sie führte mich in einen riesigen Saal, der eigentlich aus vielen kleinen miteinander verbundenen Bereichen bestand. Ich konnte diverse Liegen und Sessel erkennen, allesamt umgeben von kleinen Tischchen mit mir völlig unbekannten Apparaturen. An einem Ende des Raumes standen mehrere Wannen bereit aus denen es verheißungsvoll dampfte, zwei davon waren besetzt. Von ihren Insassen konnte ich kaum mehr als den oberen Haarschopf erkennen. In dem Bereich daneben standen Liegen. Es war offensichtlich ein Massageraum, erkannte ich peinlich berührt. Auf einer der Liegen erstreckte sich nämlich vollkommen nackt der rundliche Körper einer jungen Frau, die mit geschlossenen Augen und unter gelegentlichem wohligen Stöhnen gewissenhaft von einer älteren Dame durchgeknetet wurde. Wie ertappt schaute ich schnell weg, aber ich konnte wohl die Hitze in mein Gesicht steigen spüren. An die allgegenwärtige Freizügigkeit musste ich mich erst gewöhnen.
Der Raum dem gegenüber war unschwer als Frisierstube zu erkennen. Neben mehreren bequemen Stühlen standen überall kleine Tische mit Scheren, Bürsten und verschiedensten Haarklammern.
„Oh, da bist du ja, ich habe dich schon gewartet. Entzückend, ganz entzückend!“, ertönte es da enthusiastisch und etwas schrill hinter mir.
Ungläubig drehte ich mich um. Ein Mann? Hier? Aber ich dachte...
„Ich bin Estella, komm her Kleines! Lass dich anschauen, wir haben noch viel vor!“
Vergnügt patschte er in seine dicken, schwer beringten Hände und schenkte mir ein strahlendes Lächeln, so dass ich gar nicht anders konnte als ungläubig zurück zu lächeln und sie zu schütteln.
Estella war ein Mann? Ich stand nach dieser Entdeckung absolut neben mir. Und obwohl ich ihn zweifellos mit offenem Mund anstarrte und dabei wahrscheinlich wie ein Fisch aussah, der merkte, dass er eben an
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