Des Wahnsinns fette Beute: Macken und Marotten auf der Spur (German Edition)
mehr, das mich erträgt, dann beginnen Sie wahrscheinlich zu leiden. Und dann werden Sie, weil der Mensch ein soziales Wesen ist, unter der Vereinsamung leiden. In einem solchen Fall kann eine Behandlung sinnvoll sein. Es gibt allerdings eine Erkrankung, da haben die Leute selber gar keinen Leidensdruck, aber das Umfeld geht am Krückstock, das ist die Manie. Das sind ganz normale Menschen, die haben ab und zu mal eine Phase, da sind sie übertrieben heiter, gehen über Tische und Bänke, was übrigens bei uns im Rheinland gar nicht besonders auffällt, aber in Westfalen sofort stationär behandelt wird. Aber, Scherz beiseite, Maniker leiden vor allem nach ihren Phasen an dem Unsinn, den sie in der Phase so angestellt haben. Deswegen ist es wichtig, sie zeitig zu behandeln.
Wir hatten mal eine Bekannte, die hat in ihrer manischen Phase fünf BMWs gekauft.
Oder man fährt mal gerade eben zum Kaffeetrinken nach Hamburg, weil das ja so schön ist, mit dem Taxi natürlich, denn man wird ja nächste Woche sowieso im Lotto gewinnen.
Das ist natürlich bei Superstars wie beispielsweise Boris Becker in seiner großen Besamerphase dann sehr schwierig einzuordnen. War er vielleicht zu der Zeit manisch?
Schön wärs! Maniker sind oft sehr geistreich und witzig, ziemlich flott im Kopf. Das kann man von unser aller Bobbele leider nicht unbedingt sagen. Keiner meiner Maniker wäre wohl so sehr von allen guten Geistern verlassen, dass er sein ganzes Leben öffentlich abfilmen lassen würde, einschließlich der eigenen Hochzeit. Und sich als Handwerker, denn das ist Boris Becker ja höchstens, dauernd öffentlich zu Fragen nach dem Sinn des Lebens zu äußern, das brächten meine Maniker höchstens in ihrer manischen Phase. Danach wäre ihnen das alles peinlich. Das ist bei unserem Boris ganz anders. Bei Boris gibt es kein Danach. Der Boris ist so, und dagegen kann man gar nichts machen, denn der Boris ist leider normal, unbehandelbar normal.
Darf ich Sie denn nochmal fragen: Wenn wir jetzt mal aus der Psychiatrie rausgehen und wir bei Stinos sind, also bei den Stinknormalen.
Das ist aber eine schöne Formulierung!
Ich glaube, da haben viele Leute kleinere oder größere Macken. Die gehen nicht aus dem Haus ohne irgendein Ritual. Wo ist da der Grenzbereich, beziehungsweise, wie würden Sie das einordnen? Warum braucht der Mensch so viele Hilfsmittel, um durch den Alltag zu kommen?
Der Soziologe Arnold Gehlen hat mal gesagt, der Mensch ist ein Mängelwesen. Wir werden ja auf die Welt geworfen und sind erst mal total hilflos. Das ist bei den Tieren nicht der Fall. Fohlen rappeln sich nach der Geburt sofort auf, und dann schaffen es die ganz eigenständig zur Milchquelle der Mutterstute. Wir Menschen sind von vorneherein und auch später auf Hilfe angewiesen, wir sind soziale Wesen. Ich finde diesen Satz «Ich möchte eines Tages nicht auf Hilfe anderer angewiesen sein» total zynisch. Er diskriminiert letztlich hilfsbedürftige Menschen, und in Wahrheit sind wir ja alle immer auf Hilfe anderer angewiesen. Wir wären nicht bekleidet, wenn es keine Textilindustrie gäbe, die uns das alles zur Verfügung stellen würde, oder jemanden, der uns das alles kauft. Mir muss man zum Beispiel solche Sachen kaufen, ich kann das nicht selber. Meine Töchter können das erstaunlicherweise völlig eigenständig. Wir sind alle auf Hilfen angewiesen, aber jeder unterschiedlich. Und ich finde diese Unterschiedlichkeit eben schön und weigere mich, die unter diagnostische Begriffe zu bringen.
Können Sie uns das an einem Beispiel verdeutlichen?
Es gibt Leute, die sind besonders ordentlich, Frau von Sinnen wahrscheinlich nicht und ich auch nicht, aber das können ganz liebenswürdige Zeitgenossen sein, die alles gerne unter Kontrolle halten und im Stadtarchiv eine steile Karriere machen. So etwas ist nicht krank. Wenn aber jemand tatsächlich einen Kontrollzwang hat, das heißt, wenn der zum Beispiel dauernd kontrollieren muss, ob die Tür abgeschlossen ist, dann kann dieser Kontrollzwang Stunden in Anspruch nehmen und zunehmend ein normales Leben unmöglich machen. Oder wenn jemand einen Waschzwang hat, dann kann allein das morgendliche Waschen sechs Stunden dauern. Das ist dann eindeutig eine Krankheit. Natürlich gibt es da aber ein breites Spektrum. Es gibt auch abgemilderte Formen, die aber auch schon das normale Leben stören können. Dann kann Therapie angesagt sein.
Also, wenn ich zum Beispiel auf
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