Deshalb heisse ich Starker Baer
graue Wolken.
Jetzt kam ein Windstoß, und der Himmel wurde noch grauer.
»Nanu«, sagte mein Vater, »gibt es etwa ein Gewitter? Schnell, Martin, wir müssen sehen, dass wir ins Tal hinunterkommen. Wir müssen denselben Weg zurückgehen. Der ist kürzer und im Notfall können wir in der Sennhütte bleiben.«
Er packte unsere Sachen zusammen. Wir zogen beide unsere Anoraks an und begannen abzusteigen.
»Da haben der Wetterbericht, der Förster und der Senn sich doch geirrt«, sagte mein Vater. »Im Gebirge ist so ein Gewitter im Handumdrehen da, auch wenn jeder glaubt, das Wetter bleibt schön. Sieh dir bloß den Himmel an!«
Der Himmel war nur noch grau. Ein Windstoß fegte über uns hin, noch einer und noch einer, und dann wurde aus den Windstößen ein richtiger Sturm.
Als wir an der gefährlichen Schlucht vorbeikletterten, fielen die ersten Regentropfen. Es donnerte und blitzte und plötzlich goss es so sehr, dass man kaum noch sehen konnte. Im Nu war ich pitschnass.
Das Klettern machte keinen Spaß mehr, weil die Steine durch den Regen immer glatter wurden und ich ausrutschte.
Ich hatte große Angst vor dem Donner und den Blitzen. Ich fürchte mich jedes Mal, wenn Gewitter ist, sogar zu Hause. Dabei kann zu Hause doch gar nichts passieren.
»Papa«, schrie ich, »ich habe solche Angst! Ich kann nicht weiter!«
Mein Vater ging ein paar Schritte vor mir her. »Warte, Martin, ich hole dich«, sagte er, »dann bringe ich dich zu dem großen Felsen dort. Wir hocken uns hin und warten, bis das Gewitter abzieht.«
Er drehte sich um und wollte zu mir zurückkommen. Und da ist es plötzlich passiert. Mein Vater stolperte. Ich sah, wie er hinfiel, über den Felsen rutschte und dahinter verschwand. Ich hörte, wie er schrie. Ich schrie auch. Dann war alles still.
»Papa!«, rief ich. »Papa! Papa!«
Ich dachte: Jetzt ist er tot. Ich hatte nämlich schon öfter gehört, dass Bergsteiger abstürzen können und dann tot sind.
Aber mein Vater war nicht tot. Ich hörte wieder seine Stimme.
»Martin«, rief er, »ist bei dir alles in Ordnung? Klettere über die Felsen, die vor dir sind. Dann siehst du mich. Sei vorsichtig, damit du nicht ausrutschst. Hab keine Angst, dir passiert nichts. Komm.«
Ich tat, was er sagte. Denn ich wollte zu meinem Vater. Ich kletterte über die glitschigen Steine und dann sah ich ihn.
Er lag hinter dem großen Felsen. Gleich daneben war noch ein Felsen, deshalb war er nicht weiter hinuntergerollt.
»Tut dir was weh, Papa?«, fragte ich.
»Ja«, sagte er, »mein Bein tut ganz verdammt weh. Ich kann es nicht bewegen. Ich glaube, es ist gebrochen. Du musst mir den Schuh ausziehen.«
Ich kroch dichter heran und versuchte, ihm den Schuh vom Fuß zu ziehen. Er stöhnte furchtbar dabei. So habe ich meinen Vater noch nie stöhnen hören. Ich dachte immer, ihm tut nie was weh. Jetzt sah ich, dass er schlimme Schmerzen hatte. Ich wollte den Schuh loslassen, doch er stöhnte: »Weiter, Martin, los, weiter. Der Schuh muss weg, bevor der Fuß anschwillt.«
Ich hatte große Angst, weil sein Gesicht so weiß war. Aber er sagte noch einmal:»Los, zieh!« Da riss ich an dem Schuh, so fest ich konnte. Mein Vater schrie auf und ich hielt den Schuh in der Hand.
Mein Vater lag einen Moment da und sagte nichts mehr. Er hatte die Augen zugemacht und sah so komisch aus, ganz anders als sonst. Ich bekam noch viel größere Angst. Am liebsten hätte ich geweint, aber ich wollte nicht weinen, weil er nicht noch trauriger werden sollte.
Nach einer Weile machte er die Augen wieder auf. »Martin«, sagte er, »ich bin verletzt. Ich kann keinen Schritt gehen. Merkst du, wie kalt es geworden ist? Hier oben kann in der Nacht schon Schnee fallen. Wenn ich die ganze Nacht liegen bleibe, werde ich noch kränker. Womöglich erfriere ich. Auch du wirst frieren und krank werden.«
»Aber der Förster und der Senn wissendoch, dass wir auf dem Gipfel sind«, sagte ich. »Sie merken doch, wenn wir nicht zurückkommen.«
Mein Vater schüttelte den Kopf. »Die denken wahrscheinlich, dass wir auf der anderen Seite abgestiegen sind. Vielleicht erinnert sich der Förster erst morgen oder übermorgen an uns, wenn unser Auto immer noch nicht abgeholt ist. Nein, wir können uns nicht auf andere verlassen. Wir müssen selbst etwas tun.«
»Ja«, sagte ich, »aber was?«
Mein Vater nahm meine Hand.
»Es liegt jetzt alles an dir, Starker Bär. Auf dich kommt es an.«
Er machte wieder so ein komisches Gesicht. Es sah aus,
Weitere Kostenlose Bücher