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Desiderium

Desiderium

Titel: Desiderium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christin C. Mittler
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jungen Pflegern hingen an den schneeweißen Wänden. Im hinteren Teil leuchteten die Anzeigen zweier Aufzüge. Irgendjemand würde gleich aus einem der oberen Stockwerke kommen.
    Direkt neben der Eingangstür befand sich eine abgerundete Theke, die mit ihren schwarzen und roten Verzierungen fehl am Platz wirkte. So etwas hätte ich eher in einem brandneuen vier bis fünf Ste rne Hotel verbucht. Aber das Einzige, was dieser Ort mit einem solchen Hotel gemeinsam hatte, waren die Übernachtungspreise.
    Auf einem lehnenlosen Stuhl saß eine Blondine mit randloser Brille, die einen passenden Arbeitskittel in babyblau trug.
    »Julie?«, fragte meine Schwester überrascht .
    Die Fr au wandte sich von ihren Computer ab. Als sie uns erblickte, schenkte sie uns ein ehrliches Lächeln. »Noemie! Cassim! Wie schön euch zu sehen!«
    »Wie kommt es, dass du hier sitzt?«, führte ich Noemies Frage weiter aus, ohne auf ihre Begrüßung näher einzugehen.
    »Unsere Empfangsdame ist krank. Es sind genügend Pfleger da, aber niemand, der sich um den Empfang kümmert. Heute bin ich dran«, erklärte sie, noch immer mit diesem Lächeln.
    Julie arbeitete hier seit zwei Jahren als Pflegerin. Ihr Hauptgebiet war der dritte Stock, wo sich die trauernden, selbstmordgefährd eten Fälle befanden. Da sie im Gegensatz zu uns jede Woche hier war, verbrachte sie mittlerweile mehr Zeit mit unserer Mutter als wir. Für gewöhnlich war sie nicht nur freundlich und einfühlsam ihren Patienten gegenüber, sondern sie versuchte sich auch um die Angehörigen zu kümmern, falls diese Hilfe brauchten und mit der Situation nicht klar kamen. Zumindest tat sie das seit ihrem ersten Tag bei Noemie und mir.
    »Klingt nach viel Arbeit.« Noemie warf Julie einen mitleidigen Blick zu. Sie war der einzige Mitarbeiter hier, dem meine Schwester vertraute. Früher hatte sie ihr bei unseren Besuchen ein selbstgemaltes Bild mitgebracht.
    »Ist sie in ihrem Zimmer?«, unterbrach ich den Smalltalk der beiden. Dafür hatte ich noch nie viel übrig gehabt. Ich kam jedes Mal, wenn sich die Möglichkeit bot, hierher, aber ich war jedes Mal darauf b edacht, den Besuch so kurz wie möglich zu halten.
    Julie wandte den Blick von meiner Schwester ab und sah stat tdessen mich an. Wie immer trat eine Falte auf ihre Stirn. Ich fragte mich, ob sie darauf wartete, dass ich innerhalb von Sekunden von der Besucherin zur Patientin werden würde. Vielleicht dachte ich aber auch einfach zu viel nach.
    »Ich glaube, sie ist im Garten. Die meisten nutzen heute das gute We tter aus; draußen ist so schön wie schon lange nicht mehr. Kommt, ich bring euch zu ihr!«
    »Und was, wenn jemand kommt und nicht weiß, wo er hin muss?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Es ist ja nur eine Sache von zwei Minuten, du weißt, wie oft irgendjemand an irgendeiner Stelle fehlt, weil wir meistens unterbesetzt sind …«
    Julie führte uns den angrenzenden Flur entlang, vorbei an dem pfirsichfarben – oder was auch immer das sein sollte – gestrichenem Treppenhaus. Mein Blick fiel dabei auf die grüne Linie, der wir folgten, während die blaue, rote und gelbe abzweigten. Kaum hatten wir eine breite Glastür geöffnet, wurde Julie angepiept.
    »Offenbar brauchen sie mich doch«, entschuldigte sie sich mit einem halben Lächeln und verließ uns.
    Wie Julie es geahnt hatte, saßen viele der Patienten in dem kleinen Park – manche von ihnen in der Sonne auf dem Gras, manche auf den Bänken, wieder andere kümmerten sich um das Blumenbeet zu unserer Linken. Sie pflegten Tulpen, Stiefmütterchen und blassrosa Rosen, die langsam ihre Köpfe aus der Erde reckten. Diejenigen, die bereits Blüten trugen, leuchteten im Sonnenlicht auf – bei einem früheren Besuch hatte ich gemeint, die Pflanzen seien gesünder als die Patienten.
    Das war zynisch, aber äußerst treffend.
    Als wir um eine Kurve gingen, trafen wir auf einen Mann, der sich von den Pflegern nicht überreden lassen wollte, einen Hut aufzusetzen.
    »Das ist Remy, oder?«, fragte meine Schwester mich leise. »Was hat er denn?«
    »Er hat Angst vor Schatten, weißt du nicht mehr? Er glaubt, dort verstecken sich Gestalten. Erinnerst du dich nicht wie er einmal deshalb eine Panikattacke bekommen hat?«
    »Ich hatte eine Woche lang Alpträume«, murmelte Noemie.
    Wir erreichten die hohen Kirschbäume, unter denen unsere Mutter auf einer Bank saß. In der Hand hielt sie einen Block mit Sudokus. Seit wann löste meine Mutter Sudokus?
    » Maman ?« Noemie

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