Desiderium
Prolog : Das ewige Problem
Sehnsucht ist das L etzte, wonach ich mich sehne.
Ich kenne dieses Gefühl wie keiner sonst, es ist ein Teil von mir. Gleichzeitig erscheint es mir fremd – wie der Rest der Welt.
Alles in meinem Leben scheint auf Sehnsucht aufzubauen; sie ist stark, manchmal zu stark, sodass ich nicht weiß, wie man sich ihr entziehen soll. Niemand, der es nicht erlebt, versteht es. Sie können kaum verstehen, dass man darüber den Verstand verlieren kann, dass es im schlimmsten Fall zum Tod führt.
Aber ich kann nicht abstreiten, dass die Sehnsucht auch schöne Seiten hat. Nichts ist so sehr erfüllt von Sehnsucht wie die Liebe. Und manchmal lohnt es sich, bereit zu sein, für die Liebe zu sterben.
Mathieu blickte von dem Blatt Papier auf, als er hörte, wie sich die schwere Tür hinter ihm schloss. Mit halb geschlossenen Augen beobachtete er, wie der Neuankömmling näher kam; über den Teppichboden mit dem kreisförmigen Brandloch, vorbei an den zwei wuchtigen Aktenschränken.
»Guten Abend, papa«, begrüßte er ihn, eine Hand noch immer auf der Tischplatte abgestützt.
Er wandte den Blick noch immer nicht ab, als sein Vater den breiten Schreibtisch aus Ebenholz umrundete, ehe er sich auf einen Stuhl sinken ließ. Sein Blick hing einen Augenblick lang an dem kleinen Laptop vor ihm. Das moderne Gerät bildete einen starken Kontrast zu den übrigen, altmodischen Möbeln im Raum.
Sitzend sah er deutlich älter aus. Das graue Haar fiel ihm glatt g ekämmt zur Seite – er verlor allmählich an Fülle auf dem Kopf – die Falten unter seinen Augen wirkten in dem diffusen Licht besonders tief. Ein kleines Lächeln stahl sich um seine Lippen, doch es konnte seine Augen nicht erreichen. Seine Stirn lag in Falten.
»Ich hatte dich nicht erwartet, schon gar nicht um diese Uhrzeit«, b emerkte der Mann ohne verstimmt zu klingen. Kaum hatte er den Mund geöffnet, verstärkte sich der Geruch nach Zigarrenqualm. Die Luft um ihn herum schien dicker zu werden.
Mathieu hatte diesen Geruch noch nie leiden können – einer der Grü nde, weshalb er diesen Raum lange Zeit gemieden hatte. Er konnte sich nicht erinnern, dass sein Vater jemals nicht abends in seinem Arbeitszimmer gesessen und geraucht hatte.
»Die Schrift kommt mir bekannt vor. Maman s?«, fragte Mathieu ohne auf die Bemerkung einzugehen. Er machte eine kleine Geste in Richtung des Blatt Papiers, das neben dem altmodischen Brieföffner lag.
Der Ausdruck seines Vaters verdüsterte sich. Langsam schüttelte er den Kopf. Seine rechte Hand ballte sich zur Faust, öffnete und schloss sich dann wieder. »Die deiner Schwester.«
»Danielle.«
Er nickte. »Das habe ich gestern in der Bibliothek gefunden. Dem Datum nach ist es das Letzte, was sie geschrieben hat.«
Er verspürte ein unangenehmes Ziehen in der Magengegend. Selbst in ihren letzten Tagen hatte sich alles bei seiner Schwester nur darum gedreht – nichts über ihre Familie; nur über das Thema, das sie wie so viele vor ihr beinahe zerstört hatte.
»Wir streiten in letzter Zeit häufiger darüber. Inzwischen re agiert Nina sehr angespannt – ich denke, auch sie bekommt Angst.« Nun klang Mathieus Stimme sowohl traurig als auch genervt.
Die Diskussionen mit seiner Frau waren anstrengend und laugten ihn aus. Sie wiederholten sich und er wusste, dass sie nie zu einem Schluss kommen würden – in so vielen Jahren hatte noch niemand eine Lösung gefunden. Er verstand sie besser als er es sich eingestehen wollte, aber auch das änderte nichts.
»Sie wusste genau, worauf sie sich einlässt, wenn sie bei dir bleibt. Ich habe ihr schon vor eurer Hochzeit erzählt, was passieren könnte. Ich habe sie mehr als einmal darauf hingewiesen, dass die Chancen sehr hoch sind. Wir haben euch beide gewarnt …«, betonte der Ältere. Seine Stimme hatte an Festigkeit gewonnen.
Mathieu konnte einen Seufzer nicht unterdrücken. Einen Moment lang versuchte er sich zu erinnern, wie oft er hier mit seinem Vater gesessen und geredet hatte, wie viele Male diskutiert – besonders wenn es um Nina und die Kinder ging.
»Deine Frau hat endlich erkannt, was nun einmal leider die Realität ist. Sie macht sich Sorgen, was ich für natürlich und in ihrem Fall für ger adezu vernünftig halte. Aber sie sollte dennoch nicht aus den Augen verlieren, dass es auch noch eine andere Möglichkeit gibt, denn sonst macht sie sich selbst verrückt – und du weißt, dass ich das leider Gottes wörtlich meine. Sie
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