Deutsche Geschichte
So kam es zu ersten Schritten, die das Verhältnis zwischen den beiden Blöcken entspannen, den Rüstungswettlauf stoppen und zu einem friedlichen Nebeneinander führen sollten.
Diese veränderte »Großwetterlage« wirkte sich auch auf die deutsch-deutsche Politik positiv aus – wenn auch sehr langsam. Denn Adenauer und seine jeweilige Regierung hatten sich von Anfang an dagegen gewehrt, Ostdeutschland als einen Staat zu betrachten. Man sprach von der »Sowjetzone«, von »drüben«, von der »so genannten DDR«, von einem »Phänomen«. Mit einem »Phänomen« aber konnte man nicht verhandeln. Deswegen gab es Kontakte – wenn überhaupt – nur auf unteren Ebenen. Diese starre Haltung wurde nun immer mehr kritisiert und die Rufe nach Veränderungen wurden immer lauter. Doch »der Alte« hörte diese Rufe nicht oder er wollte sie nicht hören. Vielleicht war er mit 87 Jahren nun wirklich zu alt, um noch einmal eine neue Politik anzufangen. So ging die Ära Adenauer zu Ende und Ludwig Erhard wurde im Oktober 1963 sein Nachfolger. Doch als Kanzler war der Vater des Wirtschaftswunders nicht so erfolgreich wie als Wirtschaftsminister. Ausgerechnet während seiner Regierungszeit erlebte die Bundesrepublik ihre erste Wirtschaftskrise. Die Koalition zwischen CDU/CSU und FDP zerbrach und wurde am 1. Dezember 1966 von einer Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD abgelöst. Trotzdem stiegen die Arbeitslosenzahlen weiter.
Nach dem ständigen Wachstum der vergangenen 20 Jahre, nach »Fress«-, Kleidungs-, Wohnungs-, Auto- und Reisewelle schien es so, als würden die Bundesbürger zum ersten Mal Atem holen. Von der kritischen Intelligenz und vor allem von der jungen Generation wurden sie gefragt, ob dieses Leben, das sich vorwiegend an materiellen Werten orientierte, wirklich lebenswert sei. Überhaupt wurden die alten Werte und Verhaltensmuster zunehmend in Frage gestellt. Schließlich hatten die preußisch-deutschen Tugenden wie Gehorsam, Ordnungssinn, Pünktlichkeit und Fleiß nach Meinung der jungen Leute in den Nationalsozialismus geführt. Viele warfen nun ihren Eltern und Großeltern vor, immer nur gehorcht und keinen Widerstand gegen die Nationalsozialisten geleistet zu haben. In den Augen der Jugend, insbesondere der studentischen Jugend, hatte die ältere Generation so ziemlich alles falsch gemacht. Als dann die SPD mit ihrem neuen Hoffnungsträger Willy Brandt auch noch mit der CDU/CSU koalierte, wandten sich viele enttäuscht vom parlamentarischen System der Bundesrepublik ab und erklärten sich zur »Außerparlamentarischen Opposition«, kurz APO genannt. Zuerst kritisierten sie den »Bildungsnotstand« und die schlechten Studienbedingungen an den deutschen Universitäten. Dann weitete sich der Protest zu einer fundamentalen Kritik an der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft mit ihrer »Amerikahörigkeit« und ihrem »Antikommunismus« aus. Ein »dritter Weg« zwischen Kapitalismus und Kommunismus, ein »demokratischer Sozialismus«, war das Ziel der »Neuen Linken«, die sich von ähnlichen Bewegungen in anderen westlichen Ländern bestätigt sah. Die Aufbruchstimmung machte selbst am eisernen Vorhang nicht halt. Im Frühjahr 1968 entstand in der Tschechoslowakei eine Reformbewegung, die auch die Kommunistische Partei erfasste. Alexander Dubcek wurde Parteichef und gab die neuen Ziele bekannt: Demokratisierung und Liberalisierung. Ein »Sozialismus mit menschlichem Antlitz« sollte entstehen. Viele Menschen in aller Welt setzten große Hoffnungen in diesen »Prager Frühling«.
Eine neue Zeit schien anzubrechen und die »Neue Linke« sah sich im historischen Prozess auf dem richtigen Weg. Der Abbau aller »autoritären Strukturen« und »Basisdemokratie in allen Lebensbereichen« wurden gefordert. Ebenso die volle Gleichberechtigung der Geschlechter und eine tolerantere Sexualmoral. Durch Demonstrationen versuchte die APO, »die Massen« zu erreichen und das Bewusstsein der Menschen zu verändern.
Bei so einer Demonstration in Berlin wurde ein Student von einer Polizeikugel getötet. Manche sahen darin den Beweis für die Brutalität des Staates und riefen zum gewaltsamen Umsturz der bestehenden Verhältnisse auf. Aber die Mehrheit der »Neuen Linken« und die übergroße Mehrheit der Bevölkerung wollten keine gewaltsamen Veränderungen, sondern Reformen. Als am 22. Oktober 1969 die Große Koalition von einer »sozial-liberalen« aus SPD und FDP abgelöst wurde, sahen sie darin eine große
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