Deutsche Geschichte Von 1815-1870
die Flammen Moskau's emporlodern, sahen wir Napoleon rath- und muthlos auf den Trümmern der alten Czaarenstadt neue Pläne schmieden, in dem Augenblicke, wo der Wendepunkt seines Schicksals eintrat und nach göttlichen und menschlichen Gesetzen eintreten mußte.
Folgerichtig sollte ich nun an jenes erste, große Mißgeschick des Eroberers eine eingehendere Darstellung der deutschen Befreiungskämpfe anreihen, – aber diese nationale Epopöe wurde uns ja Allen schon, so zu sagen, an der Wiege gesungen, und ich werde mich darum nur darauf beschränken, in kurzem knappem Ueberfluge als Einleitung die Jahre 13 und 14 durchzunehmen, dabei namentlich
jene Momente
betonend, die mehr der politischen und diplomatischen als der heroischen Geschichte jener Tage angehören, weil aus den Drachenzähnen, die schon damals unter die Saat der herrlichsten und größten Heldenthaten ausgeworfen wurden, hauptsächlich
jene Uebel
und
Schmerzen
erwuchsen, durch welche die deutsche Nation, nach Außen, wie nach Innen, noch während des heißen Kampfes schon um die Hälfte ihres Siegerpreises betrogen wurde.
Mit um so leichterem Herzen aber darf man heute eine Darstellung der Kämpfe für Einheit und Freiheit von 1815- 1870 unternehmen, als es sich dabei seit zwei Jahren um eine nahezu
vollendete Epoche handelt
. Wir stehen heute auf dem Boden einer neuen Aera und wie ich mich bemühen werde, so weit es meiner schwachen Kraft möglich ist, mit
jener Objectivität
, welche die erste Pflicht des historischen Erzählers ist, eine Zeit die uns noch so nahe liegt, zur Erscheinung zu bringen, so werde ich doch zugleich offen und sonder Scheu das Verwerfliche und Unsittliche charakterisiren.
Doch wenden wir nun unsere Gedanken zu dem Jahre 1812 zurück, vergegenwärtigen wir uns die, unter den entsetzlichsten Leiden fliehende, französische Armee, die an 600,000 Mann betragend, so stolz einst ausgezogen und die nun bis zum 20. Theile zusammengeschmolzen, als ein Haufe von zerlumpten Krüppeln und Bettlern zurückkehrte. Nicht ganz so tragisch hätte sich das Ende des russischen Feldzuges zu vollziehen brauchen, wenn Napoleon nicht in verblendetem Geiste, auf einen günstigen Friedensschluß wartend, fünf kostbare Wochen neben dem zerstörten Moskau verschwendet hätte, während der russische Herbst ihm noch einen leidlichen Rückzug gestattete. Aber
Kaiser Alexander
, von dem dieser Friedensschluß abhing, blieb jetzt unbeugsam; neben ihm stand der edle, deutsche Patriot,
der Freiherr v. Stein
, und stärkte ihn im Widerstand gegen die eigne Familie, wie gegen die mit dieser verbundenen russischen Friedensparthei. Die große Frage
war diese
, ob Rußland nur das eigne Land vertheidigen und vom Feinde säubern, oder ob es den Krieg nach Deutschland hinüber tragen und damit einen Funken zur Flamme entfachen sollte, der überall in den Herzen der Deutschen glimmte, die nur darauf harrten, einen heiligen Volkskrieg gegen den allgemeinen Unterdrücker beginnen zu dürfen, wie ein solcher sich in Rußland soeben entzündet hatte. Aber die Entscheidung lag ja leider nicht beim Volke, sondern in den Händen der Mächtigen – in denen von Kaiser Alexander zunächst – und dann in weiterer Folge bei Franz von Oesterreich und Friedrich Wilhelm von Preußen. Gezwungen hatten die beiden deutschen Großmächte ihre Contingente zu Napoleon's Armee gestellt, um derselben den Rücken zu decken. Sollten sie nun den früher Verbündeten, den russischen Kaiser, von dem nur die Gewalt sie getrennt hatte, bekämpfen? sollten ihre Truppen jetzt unter französischen Marschällen die verfolgenden Russen aufhalten und dieselben von den deutschen Grenzen zurückdrängen?
Da war
Einer
unter den preußischen Generälen, der dies nicht vermochte, der die Lage klar durchschaute und der auch wußte, daß das, was er empfand, eben so lebendig in der Brust des geringsten Soldaten lebte.
Graf York
, der Anführer des preußischen Corps, das unter dem Befehle des Marschall Mac Donald in Kurland stand, durfte in jenen Tagen der schwersten Entscheidung und des Kampfes, der sein Innerstes durchwogte, mit Ulrich von Hutten rufen: »Ich hab's gewagt.« Keiner stand ihm schützend zur Seite, nicht sein König, nicht dessen Minister, nur sein treues deutsches Herz sprach laut und vernehmlich, und so nimmt er es auf seine eigne Verantwortung, mit dem russischen Feldherrn, mit Graf
Diebitsch
, zum Zwecke einer Vereinigung der Russen und Preußen, zu unterhandeln.
Aber mit Recht
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