Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)
späteren Kaiser Wilhelm I. Ihre Bewährungsstunde schlug, als sie nach der Niederlage Preußens gegen Napoleon 1806 mit ihren Kindern nach Ostpreußen floh, wo sie im Jahr darauf in Tilsit Napoleon gegenübertrat und um einen milden Frieden bat. Drei Jahre sollte die entbehrungsreiche erzwungene Abwesenheit des Königspaares von Berlin dauern.
Ihr früher Tod, sie starb 1810 mit nur vierunddreißig Jahren, machte sie unsterblich. Die Dichter der Romantik haben ihr Denkmäler gesetzt – eine der bekanntesten Huldigungen ist Kleists Gedicht An die Königin von Preußen , das er ihr zu ihrem vierunddreißigsten Geburtstag, wenige Monate vor ihrem Tod, überreichte:
Erwäg ich, wie in jenen Schreckenstagen,
Still deine Brust verschlossen, was sie litt,
Wie du das Unglück, mit der Grazie Tritt,
Auf jungen Schultern herrlich hast getragen,
Wie von des Kriegs zerrissnem Schlachtenwagen
Selbst oft die Schar der Männer zu dir schritt,
Wie, trotz der Wunde, die dein Herz durchschnitt,
Du stets der Hoffnung Fahn’ uns vorgetragen:
O Herrscherin, die Zeit dann möcht ich segnen!
Wir sahn dich Anmut endlos niederregnen,
Wie groß du warst, das ahndeten wir nicht!
Dein Haupt scheint wie von Strahlen mir umschimmert;
Du bist der Stern, der voller Pracht erst flimmert,
Wenn er durch finstre Wetterwolken bricht!
Dass Preußens Luise später im Kaiserreich und im Dritten Reich als politisches Idol missbraucht wurde, kann man ihr schwerlich vorwerfen. Man kann sich an Fontanes Urteil halten, der an der historischen Luise «Reinheit, Glanz und schuldloses Dulden» verehrte und zugleich ihre Verherrlichung zu politischen Zwecken zurückwies: «Mehr als von der Verleumdung ihrer Feinde» habe Luise «von der Phrasenhaftigkeit ihrer Verherrlicher zu leiden gehabt».
Wenn wir uns heute ein Bild von Luise machen, sehen wir Schadows «Prinzessinnengruppe» vor uns, die sie Arm in Arm mit ihrer Schwester, der Prinzessin Friederike, zeigt. Das Standbild war von Friedrich Wilhelm II. in Auftrag gegeben worden, als Luise noch Kronprinzessin war. Doch in ihrem Blick liegt bereits das Königlich-Hoheitsvolle. Um Kopf und Hals hat sie ein Tuch geschlungen, das eigentlich eine Schwellung am Hals verdecken sollte und im Nu zur neuesten Mode avancierte.
Der König starb wenige Wochen nachdem die Marmorausführung 1797 auf der Berliner Akademie-Ausstellung gezeigt worden war. Seinem Nachfolger und Gatten Luises, der Nüchternheit und Sparsamkeit zur preußischen Tugend erhob, missfiel jedoch Schadows Werk. «Mir fatal!», rief er aus – zu freizügig und zu natürlich sah er die Königin dargestellt. Die Prinzessinnengruppe verschwand im Depot, neunzig Jahre waren die beiden Schwestern dem Auge des Publikums entzogen. Heute wird die Marmorgruppe an prominentem Ort gezeigt, in der Alten Nationalgalerie auf der Berliner Museumsinsel; die Gipsausführung kann man in der Friedrichswerderschen Kirche betrachten.
Nicht allein in der Gestalt Luises wurde die Anmut im 19. Jahrhundert zur politischen Inspirationsquelle. Henriette von Schwachenberg aus Westfalen ist es zu verdanken, dass die weibliche Anmut Eingang in jenes Lied fand, das später zur deutschen Nationalhymne wurde – Hoffmann von Fallerslebens Lied der Deutschen. Und zwar in dessen am wenigsten bekannte, zweite Strophe:
«Deutsche Frauen, deutsche Treue/Deutscher Wein und deutscher Sang/Sollen in der Welt behalten/Ihren alten schönen Klang,/Uns zu edler Tat begeistern/Unser ganzes Leben lang –/Deutsche Frauen, deutsche Treue,/Deutscher Wein und deutscher Sang!»
«Dass ich, als ich …‹Deutsche Frauen› schrieb, in erster Linie Ihrer gedachte, ist kaum der Erwähnung wert», schrieb Hoffmann von Fallersleben an Henriette, seiner Liebe zu Jugendzeiten, die keine Erwiderung fand. Und so widmete er der unerfüllten Liebe seines Lebens sein Lied der Deutschen.
Als dann im 20. Jahrhundert, nach dem Dritten Reich und dem Zweiten Weltkrieg, namentlich die erste Strophe des Lieds der Deutschen in Verruf geraten war, schlug noch einmal die Stunde der Anmut als deutscher Tugend. Bert Brecht erinnerte sich ihrer, als er, in deutlicher Abgrenzung zum Lied der Deutschen, seine Kinderhymne verfasste:
«Anmut sparet nicht noch Mühe/Leidenschaft nicht noch Verstand/Dass ein gutes Deutschland blühe/Wie ein andres gutes Land», heißt es darin. Und als vierzig Jahre später die Mauer fiel, Deutschland wiedervereinigt wurde und man sich nach neuen Symbolen für den neuen Staat
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