Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)
Deutschen über die Franzosen bei Sedan vorhersagte.
Ein bekanntermaßen großer Freund der Uniform und des militärischen Zeremoniells war der preußische König und Deutsche Kaiser Wilhelm II. «Serenissimus, im Badezimmer ist ein Rohr geplatzt. – Bringen Sie die Admiralsuniform!» – Solche Witze verbreitete in München der Simplicissimus über ihn. Höchst empfindlich reagierte der Kaiser darauf, wenn seine umfassende militärische Kompetenz in Frage gestellt wurde, wie es einmal beim Kaisermanöver im Jahre 1891 geschah. Als der Generalstabschef Alfred von Waldersee es dort gewagt hatte, den Kaiser strategisch zu besiegen, musste er darauf hin seinen Posten im Generalstab räumen. Und weltweit Aufsehen machte im Juni des Jahres 1900 die Rede, mit der Kaiser Wilhelm II. in Bremerhaven das deutsche Expeditionscorps in Richtung China verabschiedete, wo es den Boxeraufstand niederschlagen sollte. Der Kaiser empfahl damals seinen Soldaten das Vorbild des Hunnenkönigs Etzel, so dass «auf tausend Jahre hinaus kein Chinese mehr es wagt, einen Deutschen scheel anzusehen». Er schloss daran die Worte an: «Pardon wird nicht gegeben. Gefangene werden nicht gemacht.» Fortan wurden bekanntlich, besonders in England, die deutschen Soldaten «Hunnen» genannt. Und noch heute finden sich im englischen Wörterbuch unter dem Stichwort «huns» die Einträge: «1.) Barbar. 2.) Deutscher.»
Preußen, das stand für Soldatentum, Gehorsam und «eingefrorenen Dünkel»; Süddeutschland für Laissez-faire und Lebensart – so sahen es auch ausländische Besucher wie der französisch-schweizerische Schriftsteller Victor Tissot, der Deutschland kurz nach der Reichseinigung in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts bereiste. In Berlin und Preußen fand er nur Kasernen, Säbel, Helme und Federbüsche, aber sobald er die Mainlinie überquerte, hellte sich alles auf: «Umgeben von Hügeln, geschmückt mit Weinbergen, einem herrlichen grünen Horizont, Parkanlagen mit mehr Blumen als Soldaten und Kindermädchen, schöne Gebäude, viele ausgezeichnete Schulen, breite Straßen voll Luft und Sonne, ein altes Schloss, das noch in der Vergangenheit dahinträumt», so präsentierte sich dem Reisenden Stuttgart, die württembergische Hauptstadt. Kaum verwunderlich, dass sich eine solche Umgebung auch auf den Charakter auswirkt: «Der Traum eines jeden Württembergers ist nicht, Korporal, sondern Gastwirt zu werden.»
Hier die Korporäle, dort die Gastwirte. Da mag es überraschen, dass Deutschland den Preußen nicht nur die Pickelhaube, sondern auch die «Zivilcourage» zu verdanken hat. Und dies namentlich dem «Eisernen Kanzler» Bismarck, der sich doch selbst bei jeder Gelegenheit in seiner Kürassieruniform mit schwefelgelbem Kragen zeigte (übrigens sehr zum Verdruss mancher Offiziere, hatte der Kanzler des Reiches doch nur kurz und unwillig als Reservist gedient). Durch Bismarck nämlich fand das französische Wort für Bürgermut, «courage civil», Eingang in die deutsche Sprache – an jenem Tag, als der frischgewählte Abgeordnete Bismarck im Jahre 1847 seine erste Rede im Vereinten Preußischen Landtag hielt. Es ging um eine Gesetzesvorlage, die Bismarck scharf und leidenschaftlich bekämpfte; und obwohl viele Abgeordnete ihm in der Sache zustimmten, sprang ihm doch keiner von diesen in der Debatte bei. «Mut auf dem Schlachtfeld ist bei uns Allgemeingut», entgegnete Bismarck später einem Vertrauten, «aber Sie werden nicht selten finden, dass es ganz achtbaren Leuten an Civilcou rage fehlt.»
Die Tugend der Zivilcourage ist verwandt mit dem Mut und der Tapferkeit. Doch anders als die Tapferkeit wird sie meist nicht in der Gemeinschaft geübt, sie ist eine Haltung des Einzelnen. Die Tapferkeit kann, insbesondere im Krieg, auch verwerflichen Zwecken dienen, insofern lässt sie sich, wie es Iring Fetscher getan hat, zu den «Sekundärtugenden» zählen. Anders die Zivilcourage, sie ist der Mut des Nichtsoldaten. In Zeiten der Diktatur ist sie die Tugend, sich der Staatsgewalt mutig entgegenzusetzen. Dann kann sie nicht nur eine Bürger-, sondern auch eine Soldatentugend sein. Zivilcourage bewiesen die Offiziere und Generale um Claus Graf Schenck von Stauffenberg, als sie sich am 20. Juli 1944 zum Attentat auf Hitler entschlossen. Ich weiß, es gab und gibt manche Deutsche, die diese Tat anders beurteilen, wie etwa der Schriftsteller Friedrich Reck-Malleczewen, der am Tag nach dem gescheiterten Attentat in sein Tagebuch
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