Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)
sonst drohten Stillstand und Philistertum. So haben bis zum heutigen Tag die romantischen Erzählungen, Märchen, Romane und Gedichte nichts von ihrem Zauber verloren. Manchem, der Eichendorff liest, wird es ähnlich ergehen wie Thomas Mann, der über den Taugenichts schrieb: «Nichts als Traum, Musik, Gehenlassen, ziehender Posthornklang, Fernweh, Heimweh, Leuchtkugelfall auf nächtlichen Park, törichte Seligkeit, so dass einem die Ohren klingen und der Kopf summt von poetischer Verzauberung und Verwirrung.»
Die ganze Welt ist Poesie, man muss nur dafür in Stimmung gebracht werden: «Schläft ein Lied in allen Dingen/Die da träumen fort und fort/Und die Welt hebt an zu singen/Triffst du nur das Zauberwort.» Für die Romantiker war es gar nicht so schwer, die Welt zum Klingen zu bringen, wenn man über die Wünschelrute dazu verfügt. Novalis hatte da ein wunderbares Rezept: «Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.»
Aber nicht alle Menschen sind empfänglich für solche Empfindungen. Hölderlins Hyperion wollte unter seinen Landsleuten kaum welche finden: «Ich kann kein Volk mir denken, das zerrissner wäre wie die Deutschen. Handwerker siehst du, aber keine Menschen, Denker, aber keine Menschen, Priester, aber keine Menschen, Herrn und Knechte, Jungen und gesetzte Leute, aber keine Menschen – ist das nicht wie ein Schlachtfeld, wo Hände und Arme und alle Glieder zerstückelt untereinanderliegen, indessen das vergossne Lebensblut im Sande zerrinnt?»
Stattdessen nur Rationalität und tote Ordnung: «Es ist nichts Heiliges, was nicht entheiligt, nicht zum ärmlichen Behelf herabgewürdigt ist bei diesem Volk, und was selbst unter Wilden göttlichrein sich meist erhält, das treiben diese allberechnenden Barbaren, wie man so ein Handwerk treibt, und können es nicht anders, denn wo einmal ein menschlich Wesen abgerichtet ist, da dient es seinem Zweck, da sucht es seinen Nutzen, es schwärmt nicht mehr, bewahre Gott! es bleibt gesetzt, und wenn es feiert und wenn es liebt und wenn es betet und selber, wenn des Frühlings holdes Fest, wenn die Versöhnungszeit der Welt die Sorgen alle löst, und Unschuld zaubert in ein schuldig Herz, wenn von der Sonne warmem Strahle berauscht, der Sklave seine Ketten froh vergisst und von der gottbeseelten Luft besänftiget, die Menschenfeinde friedlich, wie die Kinder, sind – wenn selbst die Raupe sich beflügelt und die Biene schwärmt, so bleibt der Deutsche doch in seinem Fach und kümmert sich nicht viel ums Wetter!»
Den romantischen Schwärmern nicht folgen wollte der Geheime Rat Goethe in Weimar. «Das Klassische nenne ich das Gesunde und das Romantische das Kranke», gab er Eckermann zu Protokoll. Dabei hat er sich dem Weltschmerz doch selbst hingegeben, nicht nur im Werther , sondern auch im Wilhelm Meister . Man denke nur an das Lied der Mignon: «Nur wer die Sehnsucht kennt,/Weiß, was ich leide!/Allein und abgetrennt/Von aller Freude,/Seh’ ich ans Firmament/Nach jener Seite./Ach! Der mich liebt und kennt,/Ist in der Weite./Es schwindelt mir, es brennt/Mein Eingeweide./Nur wer die Sehnsucht kennt,/Weiß, was ich leide!»
Gottfried Keller sah im Weltschmerz gar ein Laster, und für Fürst Bismarck war er die Ausgeburt übersteigerter Phantasie. «Jede menschliche Natur will ihre bestimmte Consumtion von Kummer und Sorge haben, je nach der Constitution, und bleiben die reellen aus, so muss die Phantasie welche schaffen», schrieb er seiner Frau, «kann sie das nicht, so grämt man sich aus Weltschmerz, aus allgemeiner unverstandner Weinerlichkeit.» Nicht einmal die Achtundsechziger, die doch ebenso wie damals die Romantiker gegen das Establishment auf begehrten, konnten mit ihm viel anfangen: «Schlagt die Germanistik tot, färbt die blaue Blume rot», skandierten sie, als sie durch die Straßen zogen. Für Eichendorff, Hölderlin und Goethe war in der Weltrevolution kein Platz.
Kann aber der Weltschmerz auch eine Tugend sein? Nur, wenn man ihm nicht allzu viel Raum lässt und sich ihm nicht mit Haut und Haar verschreibt. Sonst kann er sich zur berüchtigten German Angst auswachsen – auch das ein deutsches Wort, das in der ganzen Welt bekannt geworden ist. In den schönen Künsten freilich sind ihm über die Jahrhunderte hinweg einige der wunderbarsten Schöpfungen zu verdanken. Von Eichendorff war
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