Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Deutschland misshandelt seine Kinder (German Edition)

Deutschland misshandelt seine Kinder (German Edition)

Titel: Deutschland misshandelt seine Kinder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tsokos , Saskia Guddat
Vom Netzwerk:
soziale Gesundheit
mit siebzigprozentiger Wahrscheinlichkeit
massiv geschädigt werden wird, einfach aufs Geratewohl ihren »Betreuern« überlassen – so lange, bis die Schädigung tatsächlich eingetreten ist?

Kindesmisshandler sind geisteskrank
    Es spricht viel dafür, Kindesmisshandlung als
chronische Krankheit
anzusehen. Das gilt zunächst für die misshandelten Kinder, die meist nicht einmalig, sondern über lange Zeiträume hinweg misshandelt werden. Tatsächlich ähnelt der Verlauf chronischer Misshandlungen in mancherlei Hinsicht einer langwierigen Krankheit. Oftmals erstreckt sich das Leiden der Kinder über Jahre, bis sie entweder alt genug sind, um sich ihren Misshandlern zu entziehen – oder von diesen getötet bzw. so schwer misshandelt wurden, dass sie für ihr restliches Leben geschädigt sind.
    Jedoch kann man Kindesmisshandlung mit noch größerem Recht als
Krankheit der Misshandler
bezeichnen. Eltern, die ihre Kinder misshandeln, sind fast ausnahmslos psychisch gestört. Die große Mehrzahl von ihnen weist Verhaltensstörungen auf, ist depressiv oder leidet an Suchterkrankungen.
    Man muss wohl seelisch krank sein, um ein hilfloses Kind wiederholt schlagen, quälen und demütigen zu können, anstatt es zu beschützen und für sein Wohlergehen zu sorgen. Entsprechend rubriziert die
Internationale Klassifikation psychischer Störungen
auch
»Misshandlungssyndrome, Vernachlässigung und im Stich lassen«
als Formen von Geisteskrankheit.
»Feindseligkeit gegenüber dem Kind und ständige Schuldzuweisungen an das Kind«, »emotionale Vernachlässigung, unangebrachter elterlicher Druck und andere abnorme Erziehungsmerkmale«
(
Forensisch-psychiatrische Aspekte
, S.   371 ) sind Ausdruck seelischer Krankheit der »Erzieher«.
    Bezeichnenderweise werden diese psychischen Störungen im Kapitel
Verletzungen, Vergiftungen und andere Folgen äußerer Ursachen
aufgeführt. Das ist durchaus zutreffend: Eltern, die misshandeln, sind Gift für die Kinder – Gift, das ihre Gesundheit beeinträchtigt, Gift, das ihre Entwicklung behindert, Gift, das sie in vielen Fällen tötet oder für ihr Leben schädigt.

Guter Zwilling, böser Zwilling
    Hin und wieder haben wir es in der rechtsmedizinischen Praxis mit Zwillingskindern als Misshandlungsopfer zu tun. Wohlgemerkt: Fast immer ist es nur einer der Zwillinge, der von den Eltern misshandelt wird – der andere dagegen ist Papas und/oder Mamas Liebling. Das eine Zwillingskind wird verwöhnt, bekommt ständig neue Spiel- und Anziehsachen geschenkt – das andere wird verprügelt, vernachlässigt und abgelehnt. Das eine lebt wie im Himmel, das andere buchstäblich in der Hölle.
    Wie in einem makabren Laborversuch zeigen solche Fälle krasser Ungleichbehandlung, wie und wodurch gewaltgeprägte Eltern ihrerseits zu Kindesmisshandlern werden. Sie tragen sozusagen die Hölle der eigenen Misshandlungserfahrungen in sich – und gleichzeitig sind sie von dem Wunsch beseelt, gute Eltern zu sein. So werden die eigenen Traumata auf das eine Zwillingskind projiziert – das andere profitiert vom Versuch der Mutter oder des Vaters, sich selbst und ihren Nachwuchs aus dem Teufelskreis der transgenerationalen Gewaltvermittlung zu befreien.
    Meist bevorzugen die Eltern das stillere Zwillingskind, das viel schläft und wenig Arbeit macht. Das lautere, schwierige dagegen bekommt allen Zorn und (Selbst-)Hass der Eltern ab, die – meist unbewusst – das Verhalten ihrer eigenen elterlichen Misshandler wiederholen.
    So waren wir keineswegs überrascht, als wir einen sechs Monate alten Jungen untersuchten, der angeblich von der Couch gefallen war. Er hatte einen ausgedehnten Schädelbruch mit schweren Hirnblutungen und -verletzungen erlitten, was bei einem Sturz von einem fünfzig oder sechzig Zentimeter hohen Sofa ausgeschlossen ist. Unsere Krankenhäuser und Behinderteneinrichtungen wären mit kindlichen Unfallopfern überfüllt, wenn jeder Sturz von einer Couch oder einem Bett derart gravierende Folgen hätte.
    Beim Röntgen zeigten sich dann noch diverse andere Verletzungen. An Armen, Beinen und Brustkorb entdeckten wir darüber hinaus eine Vielzahl älterer Knochenbrüche. Der Junge war zeit seines Lebens von seinem Vater misshandelt worden. Sein Zwillingsbruder dagegen bekam nie auch nur ein böses Wort zu hören.
    So etwas kommt keineswegs nur in materiell schlechtergestellten Familien vor. Wohlstand und Bildung schützen durchaus nicht immer vor Gewalt. Nur wird in den

Weitere Kostenlose Bücher