Deutschland misshandelt seine Kinder (German Edition)
traumatischen Veränderungen des Erbguts.
Menschliche Säuglinge kommen bekanntlich als höchst unfertige Lebewesen zur Welt. Ihr unreifes Gehirn wird in einem hohen Maß durch die Erfahrungen in den ersten Lebensjahren konfiguriert. Es gleicht einem Computer mit nahezu unerschöpflichen Anwendungsmöglichkeiten – doch damit diese Potenziale genutzt werden können, müssen die entsprechenden Programme aufgespielt und über Jahre kontinuierlich entwickelt werden.
Das sogenannte
psychosoziobiologische Modell
kindlicher Entwicklung erlaubt es, »Gesundheit« nicht nur als körperliche, sondern auch als seelische und soziale Kategorie zu verstehen. Für eine gesunde Entwicklung in diesem erweiterten Sinn benötigen Kinder eine soziale Umgebung, die ihnen ausreichend Schutz und Ernährung, Sicherheit und menschliche Zuwendung bietet. Entsprechend brauchen sie Eltern, die zumindest diese vier Basisfähigkeiten aufweisen:
Empathie und Kommunikation:
Die Eltern müssen sich in ihr Kind hineinversetzen und sich mit ihm austauschen können.
Realistische Wahrnehmung:
Sie müssen imstande sein, ihr Kind als eigenständiges Individuum wahrzunehmen – und nicht z.B. als Projektion eigener (oft traumatischer) Kindheitserfahrungen.
Realistische Erwartungen:
Sie dürfen von ihrem Kind nicht mehr erwarten, als es seinem Alter und seinen Anlagen entsprechend zu leisten vermag.
Aggressionskontrolle:
Die Eltern müssen imstande sein, aggressives Verhalten gegenüber dem Kind zurückzuhalten – also bspw. ihre Frustration nicht unmittelbar auszuagieren, wenn sie sich überfordert oder durch »undankbares« Verhalten des Kindes enttäuscht fühlen.
Ob es sich bei Betreuern mit diesen Fähigkeiten um die leiblichen Eltern, um Adoptiv-, Groß- oder Pflegeeltern handelt, spielt für die gesunde Entwicklung des Kindes keine Rolle. Dagegen gibt es eine Reihe belastender sozialer Faktoren, die zu immensen kindlichen Entwicklungsstörungen führen können – auch dann, wenn die Kinder bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen.
Zu diesen sozialen Risikofaktoren zählen:
sehr junge Eltern
alleinerziehende Elternteile
Isolierung/soziale Verarmung
Krankheit der Eltern, v.a. psychische und Suchterkrankungen
materielle Armut
Mütter und Väter im Teenageralter sind keineswegs eine Seltenheit. Für die Entwicklung ihrer Kinder stellen sie aus mehreren Gründen oftmals ein hohes Risiko dar. Zum einen fehlt es ihnen in aller Regel an elementaren Kenntnissen zur Versorgung von Säuglingen. Ihre Vorstellungen der »idealen Familie« haben sie mitunter anhand von TV -Serien oder Fernsehwerbung gebildet – doch im wirklichen Leben geht es selten zu wie in der Schokoladenreklame.
Außerdem sind sie meist noch mit ihrer eigenen Entwicklung beschäftigt und daher nur eingeschränkt imstande, ihre Bedürfnisse zugunsten des Kindes zurückzustellen. Sehr junge Eltern haben ihre oftmals problematischen Kindheitserfahrungen häufig noch nicht verarbeitet – dafür ist in aller Regel ein gewisses Lebensalter erforderlich. Umso größer ist die Gefahr, dass sie nun eigene Misshandlungs- und Vernachlässigungserfahrungen an ihr Kind weitergeben.
Solche »Kurzschlüsse« werden häufig durch scheinbar banale Anlässe ausgelöst – beispielsweise, wenn das Kind nicht essen will, was die Mutter oder der Vater für es zubereitet hat. Die jungen Eltern(-teile) sagen sich dann: »Mein Kind liebt mich nicht – so wie meine Mutter oder mein Vater mich auch nicht geliebt hat.«
Schmerz und Wut, die auf diese Weise in Teenager-Eltern lebendig werden, bekommt dann oftmals das Kind zu spüren. Das Kind wiederum reagiert verstört auf die Zurückweisung und verzerrte Wahrnehmung durch seine Betreuer – und so ist gerade in Familien mit sehr jungen Müttern und Vätern die Eltern-Kind-Beziehung häufig von Anfang an gestört.
Das größte Risiko geht jedoch von Eltern aus, die in ihrer Kindheit selbst misshandelt wurden. Mehr als zwei Drittel der Eltern ( 70 Prozent), die als Kinder häufig geschlagen wurden, setzen bei der Erziehung ihrer Kinder Körperstrafen ein. Auf diese Weise, durch
transgenerationale Vermittlung,
werden Gewalterfahrung und Gewalttätigkeit tatsächlich zigtausendfach »vererbt«. Und aus den misshandelten Kindern der neuen Generation werden mit hoher Wahrscheinlichkeit abermals Gewalttäter.
Sind wir als Gesellschaft nicht verpflichtet, diesen Teufelskreis zu durchbrechen? Dürfen wir Kinder, deren körperliche, seelische und
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