Deutschland misshandelt seine Kinder (German Edition)
besseren Vierteln nicht bloß mit Fäusten und Füßen, sondern mehr noch durch seelische Grausamkeit misshandelt.
Unsichtbare Wunden: seelische Misshandlung
Jede körperliche Misshandlung schlägt auch Wunden in die kindliche Psyche. Doch manche Eltern misshandeln ihre Kinder nicht mit Schlägen, sondern allein durch Worte, Demütigung oder sogenannte Sanktionsstrafen. Solche seelische oder emotionale Misshandlung ist oftmals noch schädlicher für die Entwicklung des Kindes, insbesondere für seine Selbstachtung. In der Kinder- und Jugendforschung gilt emotionale Misshandlung daher als der
»potenziell schwerwiegendste Einflussfaktor für eine beeinträchtigte seelische oder geistige Entwicklung des Menschen«
(
Kindesmisshandlung,
S. 198 ).
Eltern (oder allgemein Erzieher), die sich dem Kind gegenüber häufig feindselig oder abweisend verhalten oder das Kind schlichtweg ignorieren, sind seelische Misshandler. Liebesentzug, Einsperren, öffentliches Herabsetzen oder überzogenes Beschimpfen sind Akte emotionaler Misshandlung, die die geistig-seelische Entwicklung des Kindes massiv schädigen können. Wer ihm anvertraute Kinder seelisch misshandelt, beeinträchtigt oder zerstört ihre Fähigkeit, eine stabile, vertrauensvolle Beziehung zu einer Bezugsperson aufzubauen.
Seelische Misshandler sind Folterer der besonders perfiden Art: Die Wunden, die sie ihren Opfern zufügen, sind unsichtbar, daher Dritten gegenüber nicht ohne weiteres nachweisbar. Wenig verwunderlich daher, dass emotionale Misshandlung in Akademikerfamilien weitaus häufiger vorkommt als in bildungsfernen Haushalten.
Der gebildete Misshandler legt eben Wert darauf, keine sichtbaren Spuren zu hinterlassen. Doch auch die seelische Misshandlung hat Symptome, die man mit ein wenig Übung erkennen kann.
Kinder im Vorschulalter,
die seelisch gequält oder vernachlässigt werden, sind in ihrer Sprach- und Sozialentwicklung meist hinter ihren Altersgenossen zurück. Oftmals klagen sie über Bauchschmerzen unklarer Herkunft. Die Erzieherinnen im Kindergarten sollten spätestens dann nachdenklich werden, wenn sich ein Kind beim Mittagsschlaf wiederholt einnässt.
Schulkinder,
deren Entwicklung durch seelische Misshandlung beeinträchtigt ist, bezichtigen sich häufig selbst, »dumm«, »schlecht« oder »hässlich« zu sein. Sie entwickeln sich zu Einzelgängern und haben Mühe, die Gefühle anderer Menschen richtig zu deuten.
Bei
Jugendlichen
führt seelische Misshandlung oftmals zu drastischen Symptomen. Vielfach leiden die Betroffenen unter Essstörungen, fügen sich selbst Verletzungen zu oder unternehmen Suizidversuche. Viele ihrer selbstschädigenden Verhaltensweisen gehorchen offenbar dem Drang, die so lange unsichtbaren Wunden endlich doch noch sichtbar zu machen.
Wir alle sollten lernen, sorgfältiger auf solche Symptome zu achten – und mutig einzugreifen, wenn wir in der Verwandtschaft oder in der Nachbarschaft auf Anzeichen für seelische Kindesmisshandlung stoßen. Was man in einem solchen Fall konkret tun kann, erklären wir am Schluss dieses Buches.
Auch in Villen wird geprügelt
Die Gebildeten der »Generation Kevin« heißen eher Maximilian, Anton oder Gustav. Das hindert bessergestellte Mütter oder Väter aber keineswegs, ihre Kinder so brutal zu misshandeln, wie man das dem Klischee nach eigentlich nur von unterprivilegierten Eltern erwartet.
Einiges spricht dafür, dass körperliche Kindesmisshandlung in gutbürgerlichen Einfamilienhäusern nicht sehr viel seltener vorkommt als in bildungsfernen Wohnsilos. Nur verstehen es die prügelnden Akademiker besser, ihre Gewalttaten zu verbergen – oder zumindest nachträglich zu bedauerlichen Unfällen umzudeuten.
Nur allzu oft lassen sich Jugendamtsmitarbeiter zudem von klangvollen Titeln und respekteinflößenden Wohnadressen beeindrucken. Was allerdings auch daran liegen mag, dass Eltern aus gehobenen Verhältnissen häufig gleich mit ihrem Anwalt zum Klärungsgespräch erscheinen.
Kaspar Metzner, Mitte 20 , gilt allgemein als vorbildlicher Vater. Er ist Student der Bildenden Künste und lebt mit seiner Frau Sarah und mit Sophie, ihrer neun Monate alten Tochter, in einer schicken Maisonette in einem angesagten Berliner Szenekiez. Sarah hat einen tollen Job in einer angesehenen Kunstagentur. Ihr Leben besteht fast nur aus Vernissagen und Kunstmessen, während sich Kaspar zu Hause um die kleine Sophie kümmert.
Sein Studium kommt ob seiner Vaterpflichten etwas kurz,
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