Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen
und ökonomische Weltkarte radikal. Die Übernahme der Marktwirtschaft
im ehemaligen Ostblock, vor allem aber die Übernahme der Marktwirtschaft in China und Südostasien leiteten eine starke und noch anhaltende Veränderung der Gewichtsverteilung in der Weltwirtschaft ein. Dies stellte das deutsche Versprechen der »sozialen Marktwirtschaft« so nachhaltig in Frage wie keine Entwicklung zuvor. Ob es weiterhin eingehalten werden kann, ist fraglich.
Globalisierung und Marktwirtschaft bedeuten letztlich, dass in allen marktwirtschaftlich verfassten Ländern, die ergänzend die nötigen öffentlichen Güter in Bildung und Infrastruktur bereitstellen, vergleichbare Arbeit auch vergleichbar entlohnt wird. Für den Ökonomen heißt das: Grenzkosten (zusätzliche Kosten der jeweils letzten produzierten Einheit) und Grenzprodukt (Zuwachs des Ertrags, der durch den Einsatz einer jeweils weiteren Einheit eines Produktionsfaktors erzielt wird) des Produktionsfaktors Arbeit tendieren in den globalisierten offenen Marktwirtschaften weltweit zur Angleichung. So wie es in der globalisierten Welt den Welteinheitszins als Grenzentlohnung des Kapitals gibt, so gibt es tendenziell auch eine einheitliche Entlohnung des Produktionsfaktors Arbeit. Es ist ganz folgerichtig, dass die realen Stundenlöhne in Deutschland - genau wie beispielsweise in den USA und in Italien - heute nicht höher sind als 1990. Sie werden auch nicht mehr steigen, bis Staaten wie China, Indien und Thailand das westliche Lohnniveau erreicht haben. Diese Entwicklung trifft Deutschland in einer Phase, in der seine Kraft aus ganz anderen Gründen erlahmt, und auch davon handelt dieses Buch.
Der Keim für diese Fehlentwicklungen, die unsere Zukunft verdüstern, ist bereits in den triumphalen späten fünfziger Jahren gelegt worden. Damals begann eine Kette institutioneller Reformen, von denen jede einzelne wohlgemeint war und sicher individuell auch viel Gutes gebracht hat. Die kombinierte Wirkung dieser Reformen leitete aber einen gesellschaftlichen Substanzverzehr ein, der unsere Zukunft bedroht. Im Kern geht es um vier Themenkomplexe, die miteinander zusammenhängen und sich gegenseitig beeinflussen:
• um die seit 40 Jahren eingetretenen demografischen Verschiebungen und generativen Verhaltensänderungen sowie deren Weiterwirken in die Zukunft 1
• um die in unserem Sozialsystem liegenden Anreize, ein selbstbestimmtes Leben zu führen - oder dies eben nicht zu tun
• um Sozialisation, Bildung und lebensweltliche Motivation der Menschen
• um die Qualität, die Struktur und den kulturellen Hintergrund der Migranten in Deutschland.
Für mich ist es eine offene Frage, ob und inwieweit es überhaupt möglich ist, Reformen gegen strukturelle Veränderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und deren beständig sich ändernde Rahmenbedingungen durchzusetzen. Es bleibt niemals etwas so, wie es ist, und kein gesellschaftlicher Zustand ist konservierungsfähig. Andererseits ist es überhaupt nicht möglich, zu Urteilen zu kommen, Zustände zu bewerten und notwendige Veränderungen zu formulieren, wenn man sich kein eigenes normatives Bild von der Gesellschaft macht. Doch warum, so könnte man fragen, beschäftigen wir uns überhaupt mit Gedanken um die Zukunft, und was wird damit impliziert? Sollte sich nicht jede Generation mit ihren Problemen befassen und die Probleme späterer Generationen den dann Lebenden überlassen?
Bei all diesen Fragen sind wir von Paradoxien, die wohl grundsätzlich nicht auflösbar sind, geradezu umzingelt: Wir gehen selbstverständlich davon aus, dass nur Individuen eine Persönlichkeit und eine Identität zukommt. Gemeinschaften, Gesellschaften, Völker dagegen, überhaupt alle sozialen Organisationsformen haben nach der herrschenden Auffassung keinen über das Individuum hinausweisenden Wert - jedenfalls nicht, wenn man die Idee einer göttlichen Weltordnung oder ein entsprechendes geschichtsphilosophisches Pendant zurückweist. Paradox nur, dass wir uns dann über die Umwelt so viele Gedanken machen. Wir nehmen als unvermeidlich hin, dass Deutschland kleiner und dümmer wird. Wir wollen nicht darüber nachdenken, geschweige denn darüber sprechen. Aber wir machen uns Gedanken über das Weltklima in 100 oder 500 Jahren.
Mit Blick auf das deutsche Staatswesen ist das völlig unlogisch, denn beim gegenwärtigen demografischen Trend wird Deutschland in 100 Jahren noch 25 Millionen, in 200 Jahren noch 8 Millionen und in 300 Jahren noch
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