Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen
aufführen. In einer öffentlich subventionierten Einrichtung gebe das ein falsches Beispiel und sprenge die gebotenen Grenzen der interkulturellen Toleranz.
In der öffentlichen Debatte legte schließlich Patrick Bahners, Feuilletonchef der FAZ, das entscheidende Gewicht in die Waagschale. In einem hochintelligenten Artikel, den keiner verstand, wies er zwingend nach: Erst die kulturelle Selbstaufgabe des deutschen Bürgertums sei der Beleg dafür, dass es seine Liberalität wirklich ernst nehme. Er wiederholte zudem seine bereits 2010 gefallene Äußerung, dass »sich die Islamkritik tatsächlich mit dem Antisemitismus
der Gebildeten im deutschen Kaiserreich vergleichen« lasse. 1 Das saß, in diese Ecke wollte keiner gestellt werden.
In Duisburg erreichte man schließlich doch noch einen Kompromiss: Die Aufführungen des Stadttheaters sollten künftig nach Maßgabe der muttersprachlichen Verhältnisse in der Stadt aufgeteilt werden, aktuell hieß das 55 Prozent türkisch/arabisch, 45 Prozent deutsch. Alle fünf Jahre sollten die Anteile entsprechend der Bevölkerungsentwicklung neu gewichtet werden. Der »Duisburger Kompromiss« machte bundesweit Schule. Immer mehr Städte übernahmen in den folgenden Jahrzehnten das Modell.
Bereits von 2015 an hatte sich die jährliche Immigration deutlich erhöht; etwa die Hälfte der Immigranten kamen im Rahmen des Familiennachzugs, bei der anderen Hälfte handelte es sich überwiegend um Wohlstandsflüchtlinge aus Afrika sowie Nah- und Mittelost. Das Asylrecht und andere Einreisehemmnisse stellten infolge der Duldungsregelung keine großen Hindernisse mehr dar: Wer es nach Deutschland geschafft und sich sechs Monate keiner kriminellen Vergehen schuldig gemacht hatte, erhielt automatisch eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung und vollen Anspruch auf Sozialleistungen wie jeder deutsche Staatsangehörige.
Große Fortschritte gab es bei der Integration im Bildungsbereich. Im Jahre 2030 hatte man auf der Kultusministerkonferenz beschlossen, die Pisa-Ergebnisse nicht mehr nach dem Migrationshintergrund auszuwerten und zu veröffentlichen. Das wurde allgemein sehr begrüßt. Die Unterschiede hatten sich nämlich nicht verringert, sondern durch den erneuten Anstieg der Migration seit 2015 erheblich vergrößert. Der Verband fortschrittlicher Lehrer hatte wiederholt die öffentliche Diskussion über die Leistungsunterschiede beklagt; dies sei eine »objektive Diskriminierung« der Migranten. Das so geschaffene negative Selbstbild hemme das Vertrauen der Eingewanderten in die eigene Kraft, damit werde Minderleistung zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Man müsse endlich aufhören, über Leistungsunterschiede zu reden, dann verschwänden diese ganz von selbst. Die öffentliche Diskussion über Leistungsunterschiede, egal ob real vorhanden oder nicht, leiste einer rassistischen Gesinnung Vorschub und sei darum
zu unterbinden. Die Kultusministerkonferenz schloss sich dieser moralisch und pädagogisch zwingenden Argumentation an.
Ein weiterer Meilenstein in Bezug auf die Bildungspolitik war 2035 die Quotierung beim Numerus clausus entsprechend der amerikanischen »Affirmative Action«: In allen Fächern mit Numerus clausus wurden für Bewerber mit türkischem, arabischem oder afrikanischem Migratonshintergrund Quoten festgelegt, die ihrem Anteil in der altersspezifischen Bevölkerung entsprachen. Leider stiegen danach in einigen Fächergruppen die Durchfallquoten bei vielen Propädeutika stark an. Insbesondere die Mathematik in den Ingenieurfächern erwies sich als großer Diskriminierungsfaktor. Dem begegnete man durch eine Überarbeitung der Curricula, die im Jahre 2040 abgeschlossen war. Danach sanken die Durchfallquoten in Mathematik auf tolerable zehn Prozent.
Böswillige Zeitgenossen sahen in diesen Reformen eine Ursache für die seit 2050 wachsenden Schwierigkeiten, die Absolventen deutscher Ingenieurstudiengänge auf dem nationalen wie internationalen Arbeitsmarkt hatten. Andere wiesen mit einiger Berechtigung darauf hin, dass die eigentliche Ursache der Arbeitsmarktprobleme für Ingenieure der Niedergang der deutschen verarbeitenden Industrie sei, der um das Jahr 2030 eingesetzt hatte und kontinuierlich voranschritt. Infolge des großen und weiter wachsenden Mangels an qualifizierten Fachkräften vom Facharbeiter bis zum Ingenieur wanderten nämlich immer mehr hochwertige Produktionen ab, insbesondere nach Fernost.
Darüber hinaus wurden immer mehr Firmensitze ins Ausland
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