DGB 06 - Gefallene Engel
verkleideten Thron stapelten.
»Jetzt schicken sie mir schon
bartlose Jungs?«, rief Sartana bei ihrem Anblick. »Wie alt bist du? Vierzehn?«
»Ich bin fünfzehn«, antwortete
Zahariel.
»Kein Respekt vor den
Traditionen. Das ist genau das Problem mit eurem Orden. Ich weiß, das ist keine
Meinung, die man gern hört. Erst recht nicht jetzt, da jeder damit beschäftigt
ist, euren verdammten Kreuzzug gegen die großen Bestien zu feiern.«
»Mit Ihrem Tod wird es vorbei
sein«, sagte Zahariel, den der niedergeschlagene Ton in Lord Sartanas Stimme zusätzlich
beflügelte. »Alles, was dann noch bleibt, ist die Norderwildnis.«
Lord Sartana schüttelte den
Kopf. »Es wird in Tränen enden, merk dir meine Worte. Wir haben noch nicht
einmal angefangen, für eure Dummheit zu bezahlen. Der Preis wird erst noch
eingefordert, und wenn es dazu kommt, dann werden sich viele wünschen, ihr
hättet diesen Weg niemals beschritten, der von zu vielen verborgenen Fallen
gesäumt wird.«
»Was reden Sie da?«, warf
Nemiel ein. »Die Mission des Löwen ist die ehrbarste überhaupt.«
»Tatsächlich?«, gab Sartana
zurück und ließ sich auf dem Thron nieder. »Wollt ihr wissen, welchem Irrtum euer
Löwe erlegen ist?«
»Der Löwe irrt sich nie«,
knurrte Nemiel drohend.
Sartana lächelte, da ihn die
Drohung aus dem Mund eines Jungen amüsierte. »Euer erster Fehler war, dass ihr
jeden Respekt vor den Traditionen verloren habt. Die Zivilisation ist wie ein
Schild, der uns vor der Wildnis behütet, und die Tradition ist der Mörtel, der
unsere Gesellschaft zusammenhält. Sie gibt unserem Leben Form. Die Tradition
sorgt dafür, dass jeder weiß, wo sein Platz in der Gesellschaft ist. Das ist
äußerst wichtig, denn ohne Tradition werdet ihr schon bald wie die Tiere sein.«
»Wir wahren unsere
Traditionen«, widersprach Zahariel. »Lord Cypher sorgt dafür, dass sie beachtet
werden. Sie dagegen haben alle Traditionen über Bord geworfen ... indem Sie
gemeinsame Sache mit den Bestien machten.«
»Ich glaube, wenn du dich
gründlich erkundigst, wirst du erkennen, dass es der Orden war, der mit den
Traditionen der anderen Bruderschaften gebrochen hat«, hielt Sartana dagegen,
»als er es erlaubte, Bürgerliche in seine Reihen aufzunehmen. Das muss man sich
mal vor Augen halten ... Ritter, die aus dem gemeinen Volk rekrutiert werden!
Eine egalitäre Effekthascherei, wenn ihr mich fragt. Aber das ist gar nicht das
Schlimmste, was ihr verbrochen habt. Nein, das Schlimmste ist die Jagd, die der
Löwe auf die großen Bestien eröffnet hat. Das ist die wahre Gefahr, und das ist
auch die eine Sache, die wir später alle noch bereuen werden.«
»Sie irren sich«, beharrte
Zahariel.
»Es ist das Edelste und Ruhmreichste,
was auf Caliban in den letzten hundert Jahren geleistet wurde. Unser Volk lebt
seit Jahrtausenden in Angst vor den großen Bestien, und jetzt endlich
beseitigen wir diese Plage für alle Zeit. Wir machen die Wälder sicher, wir
ändern die Welt zum Besseren.«
»Du sagst das, als würdest du
es tatsächlich glauben, Junge«, schnaubte Sartana verächtlich. »Ich sehe, dass eure
Meister eure Köpfe mit ihrer Propaganda gefüllt haben. Oh, ich muss zugeben, es
hört sich nach einem ehrbaren und sinnvollen Ziel an, die Wälder von den Bestien
zu befreien. Nur folgt die Wirklichkeit allzu oft nicht dem Weg, den unser
Ehrgeiz eingeschlagen hat. Wir versuchen, das eine zu erreichen, und auf einmal
müssen wir mit Entsetzen feststellen, dass wir etwas ganz anderes erreicht
haben.«
»Was soll das heißen?«, wollte
Nemiel wissen, während sie beide sich dem Mann näherten.
»Gehen wir einmal davon aus,
dass euer Feldzug erfolgreich verlaufen wird. Nehmen wir an, ihr schafft es,
alle Bestien zu töten. Immerhin habt ihr ja schon einen guten Anfang gemacht.
Jonson und die anderen arbeiten seit zehn Jahren an dieser Aufgabe, und die
meisten Bestien dürften inzwischen erlegt worden sein. Vielleicht sogar alle.
Sagen wir also, alle Bestien sind tot. Was dann, Junge? Was wirst du dann tun?«
»Ich ... wir werden dafür
sorgen, dass alles besser wird«, antwortete Zahariel nach kurzem Zögern. Lange Zeit
hatte er es als selbstverständlich betrachtet, dass der Feldzug des Ordens
einer guten Sache diente. Vielleicht war es sogar die bedeutendste Unternehmung
in der Geschichte Calibans. Aber es fiel ihm schwer, alles in Worte zu fassen,
was er empfand, nachdem Sartana ihn so direkt darauf angesprochen hatte. »Wir
werden das Land
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