DGB 06 - Gefallene Engel
Licht tauchte.
Zahariel verdrängte die
Verärgerung über Nemiels theatralischen Auftritt. »Ja, da bin ich. Was willst
du mir zeigen?«
Nemiel bedeutete ihm, auf das
zentrale Podest des Rundsaals zu steigen, doch Zahariel biss sich auf die Unterlippe.
Wenn er der Aufforderung nachkam, würde er sich mit dem einverstanden erklären,
was Nemiel mit ihm vorhatte. Ein Instinkt sagte ihm, dass er damit womöglich
eine Schwelle überschritt, hinter der es kein Zurück mehr gab.
»Komm schon«, drängte Nemiel.
»Du kannst die Versammlung
nicht warten lassen.«
Zahariel nickte und ging die
ausgetretenen Stufen zum Podest hinauf, das nur von den Meistern des Ordens
betreten werden durfte. Als er einen Fuß auf glatten Marmor setzte, verspürte
er eigenartigen Schwindel.
Während er neben seinem Cousin
stand, wurde ihm klar, warum er ihn beim Betreten des Saals nirgendwo hatte
entdecken können.
Gleich neben Nemiel führte eine
schmale Wendeltreppe nach unten, die der benutzt haben musste, um in den Saal
zu gelangen.
Dass eine solche Treppe
existierte, war Zahariel bislang nicht bekannt gewesen, und ebenso wenig wusste
er etwas über die geheimen Räumlichkeiten, die sich irgendwo dort unten befinden
mussten.
»Zieh die Kapuze über«, sagte
Nemiel.
Zahariel kam der Aufforderung
nach. »Wohin gehen wir?«
»Wir begeben uns unter den
Saal«, antwortete sein Cousin, »und zum Inneren Kreis.«
Die im Dunkeln liegende
Wendeltreppe wurde nur schwach von Nemiels Laterne erhellt, die sie auf ihrem Abstieg
in die Tiefe begleitete. Zahariel folgte ihm, doch mit jeder Stufe wuchs sein
Unbehagen.
»Sag mir, wo genau wir
hingehen«, verlangte er.
»Du wirst schon sehen«,
erwiderte Nemiel.
»Wir sind fast da.«
»Und wo ist >da«
»Nur Geduld.«
Zahariel verfluchte die vagen
Antworten, wusste aber, er würde nichts weiter aus Nemiel herausbekommen, also
behielt er seine Meinung für sich und zählte über tausend Stufen, bis sie
endlich den Fuß der Treppe erreichten.
Dort fanden sie sich in einer
Kammer mit Kuppeldecke und Ziegelsteinwänden wieder, die keinerlei Schmuck aufwies.
Wie der Saal über ihr war sie rund, und die Treppe mündete genau in der Mitte
des Raums. In allen vier Himmelsrichtungen hatte man eine ganze Reihe Öllampen an
der Decke aufgehängt, und unter jeder stand eine Gestalt in weißem Chorrock mit
hochgeschlagener Kapuze.
Keine der Gestalten regte sich,
die Gesichter waren im Schatten der Kapuzen verborgen, und alle hielten die
Arme vor der Brust verschränkt. Zahariel fiel auf, dass die Anwesenden einen
zeremoniellen Dolch trugen, der dem glich, der bei den Einführungsritualen des Ordens
benutzt wurde.
Den Chorröcken fehlte es an
jeglichen Abzeichen und Symbolen.
Fragend sah Zahariel seinen
Cousin an, in der Hoffnung, er könnte ihm irgendeinen Hinweis darauf geben, was
hier los war.
»Ist das dein Cousin?«, fragte
einer der Anwesenden.
»Ja«, bestätigte Nemiel. »Ich
sprach mit ihm, und ich glaube, er teilt unsere ... Bedenken.«
»Gut«, meinte ein Zweiter.
»Es wird Konsequenzen haben,
wenn es nicht so sein sollte.«
In Zahariel regte sich
Verärgerung.
»Ich bin nicht hergekommen, um
mich bedrohen zu lassen.«
»Ich sprach nicht von
Konsequenzen, die dich betreffen, Junge«, gab die zweite Gestalt zurück.
Zahariel zuckte mit den Schultern.
»Warum bin ich hier?«
»Dies«, sagte der erste Mann,
»ist eine Versammlung des Inneren Kreises. Wir sind hier, um über die Zukunft unserer
Welt zu reden. Nemiel sagte uns, dass du die besondere Gunst des Löwen genießt.
Wenn das stimmt, könntest du für uns ein wichtiger Verbündeter sein.«
»Besondere Gunst?«, gab
Zahariel zurück. »Wir haben uns ein paarmal unterhalten, aber wir stehen uns
nicht nahe. Nicht so wie Luther und der Löwe.«
»Und doch hast du ihn
begleitet, als die Engel kamen«, warf ein dritter Mann ein. »Und wenn der
Imperator eintrifft, wirst du als Teil seiner Ehrengarde an seiner Seite sein.«
»Was?« Das hörte Zahariel zum
ersten Mal.
»Es wird morgen bekannt
gegeben«, erklärte der erste Redner.
»Ist dir jetzt klar, warum dein
Cousin dich zu uns bringen sollte?«
»Nicht so richtig«, gestand er.
»Aber sagen Sie, was Sie zu sagen haben, und ich werde zuhören.«
»Es genügt nicht, dass du
zuhörst. Bevor wir weitermachen, sollten wir sicherstellen, dass wir uns alle
einig sind. Denn wenn wir einmal den ersten Schritt unternommen haben, müssen
wir das auch zu Ende führen.«
»Was
Weitere Kostenlose Bücher