DGB 06 - Gefallene Engel
irgendjemand
auch nur eine Minute lang in Erwägung gezogen, Lord Sartana könnte die Wahrheit
gesprochen haben?«, gab Zahariel zu bedenken. »Und wir könnten tatsächlich
unser Wort gebrochen haben, ihr Land in Ruhe zu lassen?«
»Darüber nachgedacht habe ich
schon«, räumte Nemiel ein.
»Aber was macht das jetzt noch
aus?«
»Was das ausmacht?«,
wiederholte Zahariel. »Es könnte sein, dass wir unter falschen Voraussetzungen
Krieg führen. Es könnte sein, dass wir diesen Krieg provoziert haben, um unsere
eigenen Ziele durchzusetzen. Stört das denn keinen von euch?«
Die ratlosen Gesichter der
anderen waren für ihn Antwort genug, und er konnte darüber nur den Kopf schütteln.
Nerniel beugte sich vor.
»Die Geschichte wird von Siegern
geschrieben, Zahariel. Und eine der bitteren Pillen, die die Verliererseite schlucken
muss, ist die, dass alle Opfer am Ende vergebens waren. Sartanas Behauptungen,
was der Löwe zugesichert haben soll, waren womöglich aus der Luft gegriffen,
aber die Chronisten des Ordens hätten seine Worte ohnehin nicht festgehalten,
selbst wenn sie wahr gewesen sein sollten.«
»Und die Chronisten der Ritter
des Lupus-Ordens?«
»Die werden bei der Einnahme
ihrer Festung zusammen mit ihren Meistern sterben.«
»Wie kannst du das als so
selbstverständlich hinstellen, Nemiel?«, fragte er. »Wir reden davon, dass hier
Ritter getötet werden.«
Nemiel schüttelte den Kopf.
»Nein, wir reden davon, dass unsere Feinde getötet werden. Ob sie Ritter sind oder
nicht, ist unerheblich. Es ist egal, wer Recht hat und wer nicht, denn im Eifer
des Gefechts wird der eigentliche Grund für diesen Krieg bald vergessen sein. Und
selbst der Krieg an sich wird nicht lange im Gedächtnis bleiben.«
»Das ist wirklich tragisch«,
erklärte Zahariel.
»Das ist die Tragödie des
menschlichen Daseins«, meinte Nemiel und zitierte aus dem Verbatim : »Das
Leben der Individuen ist ein flüchtiges Ding, verloren in den unerbittlichen,
blutigen Gezeiten der Geschichte.«
Zahariel schüttelte den Kopf.
»Mag sein, aber auf Caliban sind diese Gezeiten düsterer als anderswo.«
Nach dem Mittagessen zogen sich
die Anwärter in ihren Schlafsaal zurück, um ihre Waffen zu holen, da als Nächstes
Kampfübungen unter dem wachsamen Auge von Meister Ramiel anstanden. Zahariel
litt noch unter dem Tischgespräch, da er mit großem Unbehagen davon Notiz hatte
nehmen müssen, wie schnell die Ordensritter Jonson in diesen Krieg gefolgt
waren.
Eigentlich musste doch jedes
intelligente Wesen den Wunsch verspüren, einen Krieg zu verhindern und alle nur
erdenklichen Maßnahmen zu ergreifen, damit niemand zu Schaden kam. Trotz seiner
Jugend war Zahariel klug genug, um zu wissen, dass Krieg manchmal unvermeidlich
war. Aber dieser Krieg gegen die Ritter des Lupus-Ordens war seiner Ansicht
nach mit unangemessener Eile vom Zaun gebrochen worden.
Als er sein geriffeltes Schwert
an sich nahm und den Pistolengurt umlegte, hörte er aus der Ferne eine Fanfare,
einen melodischen Refrain aus drei hohen Tönen, die unentwegt wiederholt
wurden.
Er sah zu Nemiel und den
anderen, die ebenfalls ihre Waffen bereitmachten. Er kannte die Bedeutung
dieser Melodie, aber er war einfach nicht in der Lage, dieses Wissen aus seinem
Verstand zutage zu fördern.
»Bruder Amadis«, hörte er
Eliath sagen, und mit einem Mal war ihm der Sinn der Fanfare wieder klar.
»Der Zurückkehrende Ritter«,
ergänzte Attias.
Zahariel lächelte und erkannte
jetzt auch die Fanfare, die nur unregelmäßig zu hören war und nur dann gespielt
wurde, wenn ein Ritter von der Jagd auf eine Bestie zurückkehrte. So viele
große Bestien waren inzwischen getötet worden, und der Kreuzzug gegen sie näherte
sich dem Ende, so dass diese erbaulichen Klänge nur noch selten durch die
Festung schallten.
Die vier Jungs rannten aus dem
Schlafsaal, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass Meister Ramiel sie
bestrafen würde, weil sie seine Lektion im Umgang mit Schwert und Pistole
versäumten. Aber es war jetzt einfach wichtiger, Bruder Amadis nach Aldurukh
zurückkehren zu sehen.
Auch andere hatten den
Trompeter gehört, obwohl es für Zahariel nach wie vor ein Wunder war, dass die
Fanfare zwar hoch oben auf einem der Türme ertönte, sie aber trotzdem durch
alle Gänge und Säle des Klosters dringen konnte. Weitere Anwärter schlossen
sich ihnen an, ja sogar ein paar jüngere Ritter liefen mit ihnen zum großen Tor
im Herzen der Festung, weil jeder als Erster
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