DGB 06 - Gefallene Engel
Mensch zu schaffen, der zudem noch nicht mal richtig
erwachsen war.
Vielleicht war es auch etwas
anderes.
Vielleicht hielt er den Moment
auch nur deswegen so in Ehren, weil der von seinem Charakter zeugte. Nach seiner
Verwandlung in einen Engel verblassten die meisten seiner Erinnerungen an die
Zeit, als er noch ein Mann war.
Es gab Tausende Momente,
wichtige Momente, die völlig in Vergessenheit geraten würden. Später würde er
Mühe haben, sich an die Gesichter seiner Eltern, seiner Schwestern und seiner
Freunde aus Kindheitstagen zu erinnern.
Das Einzige, was fest in seinem
Geist verankert sein würde, sollten die Ereignisse sein, die mit seiner Zeit
bei den Engeln zusammenhingen. Es war, als hätte er sich mit dem Wechsel vom
Menschen zum Supermenschen für alle Zeit von vielen Dingen verabschiedet, die
sein früheres Leben als ganz normaler Mensch geprägt hatten.
Doch ganz gleich, welchen Grund
es dafür geben mochte, da gab es eine Erinnerung, die wie ein Leuchtfeuer in
seinem Verstand brannte. Diese Erinnerung sollte er über die Jahrhunderte
hinweg mit sich herumtragen — eine von nur wenigen, die ihm aus seiner Jugend
geblieben war.
Diese eine Erinnerung sollte in
späteren Jahren seinen Lebensweg unterschwellig verändern, indem sie ihm half,
seinen Idealen treu zu bleiben. Sie sollte ihn durchhalten lassen, wenn jede
andere Hoffnung längst geschwunden war. Und er würde sie immer als einen von den
Augenblicken betrachten, die seine Existenz definierten.
Dieser Moment war es, der die
Grundlagen für seinen persönlichen Mythos schuf.
Einst war er ein Mann gewesen.
Einst war er ein Ritter gewesen.
Einst hatte er für das Gute
gekämpft und die Unschuldigen beschützt. Einst hatte er Monster gejagt.
Fast fünf Monate waren
vergangen, seit sich Bruder Amadis vorgenommen hatte, die Bestie von Endriago zu
vernichten. Die Zeit war für Zahariel nur schleppend verlaufen, da ihm die
angenehme Kameradschaft seines Helden fehlte. Ebenso vermisste er das Gefühl,
dass jemand im Orden seinen Wert und seine Gegenwart zu schätzen wusste.
Zwar war Meister Ramiel ein
geschickter und weiser Lehrer, doch er behandelte Zahariel wie jeden anderen Anwärter.
Eigentlich war das auch das richtige Verhalten, aber nachdem er von Bruder
Amadis so hervorgehoben worden war, fiel es ihm schwer, wieder so behandelt zu
werden, als sei er ganz ... gewöhnlich.
Ohne Bruder Amadis waren sie
wieder zu den Spielen zurückgekehrt, bei denen jeder versuchte, dem anderen um
eine Nasenlänge voraus zu sein, und Zahariel, Nemiel, Attias und Eliath rangen
abermals wie frischgebackene Novizen miteinander.
Zahariel hatte versucht, sich
nicht darüber zu ärgern, dass Nemiel unentwegt versuchte, ihn in allem zu
überbieten. Doch so sehr er sich auch anstrengte — die beharrlichen Bemühungen
seines Cousins sorgten letztlich dafür, dass sich in seinem Herzen Abneigung
festsetzte, schleichend und langsam.
Seit Lord Sartanas Besuch in
Aldurukh war ein beträchtlicher Teil der Streitkräfte des Ordens von der
letzten Phase des Feldzugs gegen die großen Bestien abgezogen worden, um sich
dem Konflikt mit diesem neuen Feind zu widmen.
In mehreren heftigen
Begegnungen hatte man die Ritter des Lupus-Ordens zurück in ihre Festung
Blutberg bei Sangrula getrieben, die wilden Gerüchten zufolge nunmehr belagert
wurde.
Die Jungs hatten sich zum
Mittagessen zusammengesetzt, über den Krieg gegen die Ritter des Lupus-Ordens diskutiert
und sich vor allem darüber beklagt, dass es ihnen als Anwärtern nicht gestattet
war, an den Kämpfen teilzunehmen.
»Ich habe gehört, dass sie
angeblich ihre eigenen Siedlungen in Schutt und Asche legen, damit unsere
Ritter sie nicht mehr einnehmen können«, berichtete Eliath.
»Ja, das stimmt«, sagte Attias.
»Meister Ramiel hat gestern mit Sar Hadariel darüber gesprochen.«
»Warum sollten sie so etwas
tun?«, warf Nemiel ein.
»Das wäre doch völlig
verrückt.«
»Ich weiß es auch nicht«, erwiderte
Attias.
»Es ist nur das, was ich gehört
habe.«
»Vielleicht, weil sie durch ihr
Handeln bewiesen haben, dass sie nichts als heimtückische Mitläufer sind und jeder
Augenblick, den sie länger leben, eine Schande für die Ehre von Caliban ist.«
»Ist das nicht ein ziemlich
hartes Urteil?«, wandte Zahariel ein.
»Findest du?«, gab Nemiel
zurück. »Und wie kann es dann sein, dass der Orden es sich zur Aufgabe gemacht hat,
ihrer Existenz ein Ende zu setzen?«
»Hat eigentlich
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