DGB 11 - Blut Der Abtrünnigen
Stille aufzuspüren,
darin liegt die eigentliche Kunst.
Schließlich muss man eine
Antwort auf die Frage finden, welcher Ort wirklich still ist. Wo gibt es die
absolute Ruhe und Stille?
Die Frage wurde üblicherweise
Novizinnen gleich zu Beginn ihrer Einführung gestellt, und es fand sich höchst selten
eine Bewerberin, die der richtigen Antwort auch nur ansatzweise nahe kam.
Viele sahen durch die Portale
der großen schwarzen Schiffe, auf denen sie sich befanden, zu den Sternen und zeigten
dann auf die Leere. Dort draußen , antworteten sie dann. Dort draußen
in der luftlosen Dunkelheit, da ist Stille. Ohne Atmosphäre können Schallwellen
nicht weitergetragen werden, weder als Stimme noch als Lied oder gar als
Schrei. In der Leere ist die Stille, würden sie sagen.
Und man würde sie korrigieren.
Denn auch dort, wo keine Luft zum Atmen ist, gibt es dennoch Lärm, dort im ...
Chaos. Selbst dort, übertragen auf Wellenlängen, die gewöhnliche Menschen nicht
wahrnehmen konnten, herrschte ein Tumult an kosmischer Strahlung, begleitet vom
permanenten Poltern der großen stellaren Maschinen, die das Universum bewegten
und altern ließen. Selbst die Finsternis hatte ihr eigenes Geräusch, man musste
nur das geeignete Gehör besitzen, um es zu hören.
Damit blieb nach wie vor die
Frage ungeklärt: Wo ist Stille?
Hier. Leilani Mollitas sprach das
Wort lautlos aus. Sie ist in mir drin. Dabei berührte sie mit den
flachen Händen ihre Brust und kreuzte die Daumen, um das Zeichen des Aquila zu
beschreiben. In ihrem Inneren, hinter ihren geschlossenen Augen, jenseits des
Bluts, das durch ihre Adern strömte — genau dort versuchte die Novizin, die
Ruhe des Selbst zu finden, denn nur im menschlichen Herz stieß man auf die
absolute Reinheit der Stille, auf den Frieden, wie ihn nur der Taubstumme
kennen konnte.
Ein missmutiger Ausdruck legte
sich über ihr blasses, hübsches Gesicht. Sie konnte nicht zu dieser Stille
gelangen, und noch während sich dieser Gedanke in ihrem Kopf formte, wusste
sie, sie hatte sich in diesem Moment verloren. Die vollkommene Um-armung durch
die Ruhe und Gelassenheit schwand dahin, und sie gestattete sich, einen
Atemhauch über ihre Lippen kommen zu lassen.
In der gebannten Stille des
Sanktums wirkte das Ausatmen so laut, als würde eine Welle an eine Felsenküste schlagen.
Sie spürte, dass sich ihre Wangen ein wenig röteten. Abrupt schlug sie die Augen
auf und blinzelte, während sie von Unzufriedenheit über ihr eigenes Scheitern
erfüllt wurde.
Ihre Mentorin stand wenige
Meter von ihr entfernt und beobachtete sie auf jene unablässig wachsame Art,
die ihr ganzes Wesen ausmachte. Die andere Frau bewegte leicht den Kopf, das
oben zu einem Knoten gebundene purpurn-schwarze Haar auf ihrem ansonsten
rasierten Schädel fiel zur Seite und legte sich über die Schulterpartien ihres
goldenen Gefechtskorsetts. Von dieser flexiblen Panzerung abgesehen, trug sie
verstärkte rote Stiefel, die bis über die Oberschenkel reichten, sowie
beschlagene Hand-schuhe, hinzu kamen weitere Panzerplatten als Ärmel sowie
Leggings aus hauchdünnen Kettengliedern. Wappenröcke hingen lose an ihrer
Taille, sie trug keine Waffen, keinen Helm und auch nicht ihren pelzbesetzten
Gefechtsmantel.
Amendera Kendel vom
Hexenjägerinnen-Kader, Ritterin des Vergessens und Sororita Silentum, stand
wortlos vor ihr. Ihren bernsteinfarbenen Augen war die Sorge einer Lehrerin um
eine vielversprechende Schülerin abzulesen.
Rasch überwand Leilani ihren
Schreck. Sie hatte geglaubt, in der Meditationskammer des Schwarzen Schiffs allein
zu sein, und ihr war nicht aufgefallen, dass die andere Frau zu ihr gekommen
war.
Unwillkürlich fragte sie sich,
wie lange Kendel wohl schon dort stand, wie lange sie ihr dabei zugesehen
hatte, wie sie vergeblich darum bemüht gewesen war, ihre innere Mitte zu
finden. Die Novizin trug nur ihr Kettenunterhemd und das leichte Gewand mit
Kapuze einer noch nicht eingeschworenen Bewerberin. Leilani hob beide Hände und
begann zu gestikulieren, aber ihre Herrin stoppte sie mit einem knappen Kopfschütteln
und legte zwei Fingerspitzen an ihr Kinn. Benutz deine Stimme, befahl die
Geste.
Frustriert presste die Novizin
die Lippen aufeinander. Sie sehnte den Tag herbei, an dem sie nicht länger
reden musste, doch wie sie soeben selbst unter Beweis gestellt hatte, war dies
noch nicht der Tag. Im Augenblick fühlte sich Schwester-Novizin Leilani
Mollitas weiter denn je davon entfernt, den Eid der Stille
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