DGB 13 - Nemesis
begann sich auszubreiten. Yosef verzog den
Mund.
Zu Hause hatte er noch immer
eine zehn Jahre alte Flasche Blasko Caskinport, es war ein guter Wein gewesen.
»Hier rein«, flüsterte Daig und
deutete auf ein Nebengebäude.
Yosef zögerte. Inzwischen
hatten sich seine Augen an die schlechten Lichtverhältnisse gewöhnt, und nun
konnte er auch erkennen, was hier nicht stimmte. Hier und da waren Hinweise
darauf zu finden, dass sich jemand auf dem Gelände aufgehalten und den Dreck an
Stellen getragen hatte, an denen er eigentlich nicht zu finden gewesen wäre.
Vom Tor aus war davon nichts zu sehen, aber hier aus nächster Nähe konnte man
diese Anzeichen gar nicht übersehen. Yosef musste an Norte und Latigue denken,
und er fasste unwillkürlich in seine Manteltasche, um die Hand um den Griff
seiner Waffe zu legen. Das Gefühl, sich jederzeit verteidigen zu können,
beruhigte ihn spürbar.
»Wir schnappen ihn uns lebend«,
zischte er Daig zu.
Daig sah ihn kurz an, während
er ein Wärmesuchgerät aus der Jackentasche zog, mit dem er die Umgebung nach
Wärmequellen absuchte. »Natürlich.« Sie fanden ihren Verdächtigen in der
Küferbaracke vor, wo er zusammengerollt in einem halbfertigen Fass schlief. Als
er sie näher kommen hörte, sprang er in Panik auf.
Sofort richtete Yosef den
grellen Lichtkegel seiner Handlampe auf den Mann und zielte vorsorglich mit der
Pistole auf ihn.
»Erno Sigg!«, fuhr er ihn an.
»Wir sind Vögte der Sentine, und Sie haben die Gesetze zu befolgen. Bleiben
Sie, wo Sie sind, und rühren Sie sich nicht!« Der Mann brach vor Angst fast
zusammen. Er fuchtelte mit den Armen und schwankte hin und her, dann fiel er
gegen sein behelfsmäßiges Nachtlager und konnte sich gerade noch fangen, was
ihn sichtlich körperliche Anstrengung kostete. Er hob die zitternden Hände, in
der rechten hielt er den Griff einer alten Öllampe. »Si-sind Sie hier, um mich
zu töten?«, fragte er.
Mit dieser Frage hatte Yosef
überhaupt nicht gerechnet. Er war vielen Mördern begegnet, mehr, als ihm hätte
lieb sein können — aber Sigg verhielt sich anders als jeder von denen. Die
Angst überkam ihn immer wieder wie in Wellen, als würde Hitze von einer offenen
Flamme ausstrahlen. Yosef hatte einmal einen Jungen gerettet, der wochenlang in
einem Weinkeller gefangen gehalten worden war, und an den Gesichtsausdruck
dieses Jungen, als er zum ersten Mal wieder Tageslicht zu sehen bekam, fühlte
er sich erinnert, als er nun Erno Sigg sah. Der Mann wirkte auf ihn wie ein
Opfer, nicht wie ein Täter.
»Sie werden eines
Schwerverbrechens verdächtigt«, sagte Daig.
»Sie müssen mit uns mitkommen.«
»Ich habe für meine Verbrechen
bezahlt!«, gab Sigg zurück.
»Sonst habe ich niemandem etwas
getan.« Er sah zu Daig.
»Wie haben Sie mich gefunden?
Ich habe mich so gut versteckt, dass nicht mal er wissen konnte, wo ich
bin.« Yosef fragte sich, wer wohl dieser Er war.
»Haben Sie keine Angst«, redete
Daig weiter.
»Wenn Sie unschuldig sind,
werden wir das schon beweisen.«
»Tatsächlich?« Die Frage kam
schwach und ängstlich über seine Lippen, dabei hörte er sich an wie ein
verunsichertes Kind.
Dann sagte Daig etwas, das in diesem
Moment völlig fehl am Platz wirkte, und dennoch hatten die Worte auf Sigg eine
besänftigende Wirkung, die sofort erkennbar wurde. »Der Imperator beschützt.«
Als sich Yosef wieder Sigg zuwandte, sah der ihn unmittelbar an. »Ich habe
vieles getan, worauf ich nicht stolz bin«, erklärte der Mann. »Aber heute nicht
mehr. Und schon gar nicht die Dinge, die mir im Bildkabel vorgeworfen werden.
Ich habe einen Menschen ermordet.«
»Ich glaube Ihnen, Erno«,
erwiderte Yosef, dem dieser Satz über die Lippen kam, noch bevor ihm überhaupt
bewusst war, dass sich der Gedanke in seinem Kopf gebildet hatte. Das wirklich
Eigenartige daran war, dass er ihm tatsächlich glaubte, und das mit einer
Überzeugung, die der Vogt selbst nicht nachvollziehen konnte. Es war sein Instinkt,
der ihm sagte, dass dieser Mann die Wahrheit sprach. Dass Yosef aber nicht zu
sagen vermochte, worauf sich diese Meinung gründete, beunruhigte ihn zwar
zutiefst, jedoch fehlte ihm die Zeit, um sich darüber Gedanken zu machen.
Das Dach des Schuppens war
nichts weiter als eine Hülle aus Wellblech und Glas, die noch deutliche Zeichen
des Feuerinfernos trug. Als hätte der Wind von einer Sekunde zur nächsten
gedreht, war die feuchte Luft mit einem Mal von Lärm erfüllt. Yosef erkannte
das ratternde
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