Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition)
glaubte ihren Geschichten.
Als sie an ihnen festhielt und ihre Wahrheit betonte, zogen sich die anderen Weisen von ihr zurück, als wäre sie geisteskrank und könnte mit ihrer Krankheit andere anstecken. Domin Hochturm, ein Meister ihres Ordens, schalt sie und meinte, sie solle damit aufhören, »wilde Geschichten« über Untote, Dhampire und anderen abergläubischen Unsinn zu erzählen.
Eine Zeit lang hatte Wynn versuchte, ihm zu gehorchen.
Nie zuvor hatte sie sich so allein gefühlt. Schließlich hielt sie es nicht länger aus.
Mit neuem Nachdruck berichtete sie von mächtigen Untoten und den geheimen Manipulationen durch die Elfen, vom Ältesten Vater und seiner Überzeugung, dass die Rückkehr eines alten Feinds bevorstand. Je mehr und öfter sie davon erzählte, desto mehr mied man sie dafür, und desto größer wurde die in ihr wachsende Furcht.
Erinnerungen kamen in Form von Albträumen, die ihr keine Ruhe ließen, aber niemand war mehr bereit, der »dummen« Wynn Hygeorht zuzuhören. Bis auf den ruhigen, aufmerksamen, sarkastischen Ghassan il’Sänke, einen weiteren Außenseiter an dem Ort, den Wynn für ihre Heimat gehalten hatte. Doch selbst das hinderte sie nicht daran, sich im Vergleich mit der Kraft ihrer ehemaligen Freunde für klein und schwach zu halten.
Magiere, eine Dhampirin mit menschlicher Mutter und einem Vampir-Vater, wies eine gewisse Verwandtschaft mit den Edlen Toten auf. Leesil, ein halber Elf mit den scharfen Sinnen seiner Mutter, war als Assassine ausgebildet. Und Chap, ein Feenwesen und als Majay-hì Fleisch geworden, sah und verstand Dinge, die anderen Geschöpfen verschlossen blieben. Jeder von ihnen hatte seine eigene Art und Weise mit den Untoten fertigzuwerden, und zusammen hatten sie viele von ihnen endgültig ins Jenseits geschickt.
Verfügte Wynn über irgendetwas, das sich mit ihren besonderen Fähigkeiten vergleichen ließ? Nein.
Deshalb war sie mit einer verrückten Idee zu il’Sänke gegangen.
Wynn hatte ihn um seine Hilfe gebeten, ihn regelrecht angefleht, denn er war der Einzige, der ihr helfen konnte. Sie brauchte keinen der Kaltlampen-Kristalle, die von der Gilde mit großer Mühe und unter hohen Kosten hergestellt wurden, sondern ein Licht von anderer Art.
Wynn wollte Sonnenlicht – um sich vor dem Dunkeln zu schützen und all dem, was sich darin bewegte, darunter die Edlen Toten, an deren Existenz hier niemand glaubte.
An jenem Abend hatte Domin il’Sänke sie nur angestarrt.
Der Ausdruck in seinem braunen Gesicht hatte Zweifel in Wynn geweckt, und sie war fast in Tränen ausgebrochen. Ließ sich ihr Wunsch nicht erfüllen? Soweit sie wusste, war so etwas noch nie gelungen. Zumindest überstieg es das Können der wenigen ihr bekannten Weisen, die sich gut genug mit Alchimie und Thaumaturgie auskannten.
Einen Kristall zu schaffen, der Licht von der gleichen Art wie die Sonne erzeugen konnte …
Das Warten auf il’Sänkes Antwort hatte Wynns Geduld auf eine harte Probe gestellt. Aber er hatte sie nie so angesehen, als hielte er sie für verrückt. Als er schließlich nickte, ernst und mit halb zusammengekniffenen Augen, war Wynn erneut den Tränen nahe gewesen.
Endlich glaubte ihr jemand.
Jetzt saß sie in der Gesellschaft des dunkelhäutigen Domin auf dem Bett und hob den langen Kristall.
»Zeig mir … wie man ihn weckt.«
Il’Sänke schüttelte missbilligend den Kopf und nahm den Kristall.
»Zuerst muss er vorbereitet werden. Ich glaube, in aktiviertem Zustand sollte man ihn besser nicht in der Hand halten. Meine ausgewählten Helfer und ich konnten bislang nur die materielle Herstellung bewältigen, nach einigen sehr unbefriedigenden Versuchen. Jetzt muss ich damit arbeiten, ihn vorbereiten und dich anschließend lehren, wie man ihn benutzt.«
Wynn war enttäuscht. »Wie lange dauert es noch?«
Eine von il’Sänkes dichten Brauen kam nach oben.
»Es tut mir leid«, sagte sie. »Ich habe so lange gewartet … Aber ich bin dir natürlich dankbar für deine Hilfe und dein Vertrauen in mich.«
Domin il’Sänke wickelte den Kristall wieder ein und steckte ihn in eine Tasche seines Gewands. »Als Zeichen deiner Dankbarkeit erwarte ich, dass du dein selbst gewähltes Exil verlässt und wieder unter Deinesgleichen gehst. Spiel Karten mit ihnen, nimm an den politischen Diskussionen teil, trink Tee, was auch immer, aber verlass deine Klausur.«
Wynn schüttelte den Kopf. »Nein, nein, ich … Es gibt einige Dinge, an denen ich hier in aller Ruhe
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