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Diabolos (German Edition)

Diabolos (German Edition)

Titel: Diabolos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: torsten scheib , Herbert Blaser
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Meter entfernt hoch kam.
    »Ich hab ihn nicht«, rief ich ihm zu.
    »Ich auch nicht, aber da unten ist so ´ne Strömung, die geht da lang.« Er zeigte zur Mitte des Sees.
    »Okay«, sagte ich und schwamm ein paar Züge in die Richtung. Wir sahen uns an, holten Luft und tauchten wieder ab.
    Ich erinnere mich nicht genau, wie oft wir unten waren, aber ich weiß, wir beratschlagten uns mehrmals, tauchten Hand in Hand, tauchten, bis wir den Grund berührten, und sahen dann später beim wiederholten Auftauchen, dass der Bademeister auf dem Steg seine Taucherausrüstung anlegte. Ich war wütend auf ihn, denn mir schien, es sei eine Menge Zeit vergangen – zu viel Zeit, um zu überleben.
    Marcel und ich ignorierten ihn und nahmen unsere Bemühungen mit Wut im Bauch wieder auf. Und jene Wut war es vermutlich, die mir ein ähnliches Schicksal ersparte, als mir, in der Gewissheit gleich auf den Grund zu stoßen, etwas Hartes und Kaltes in den Brustkorb stieß. Mit geschlossenem Mund schrie ich auf und wedelte mit den Händen und Armen umher, um Distanz zu dem Etwas zu gewinnen. Stattdessen trieb es im Sog meiner Bewegungen zu mir, berührte meinen Oberarm, und voller Entsetzen stellte ich fest, dass es ein Kopf war. Alles setzte in diesem Moment in der Dunkelheit aus, selbst mein Herzschlag. Bewegungslos trieb ich weiter hinunter, der versunkene Körper des Fremden schmiegte sich an mich. Meinen Mut zusammennehmend tastete ich danach, suchte nach einem Arm, griff zu und zerrte ihn mit mir an die Oberfläche hinauf. Zumindest wollte ich das, doch der Widerstand war so groß, dass ich ihn auf halber Strecke loslassen musste.
    »Hab ihn!«, rief ich oben, und aus Angst, dass er wieder auf den Boden sinken könnte, setzte ich sofort nach, packte ihn am ausgestreckten Arm, genauer am Oberarm, und zog ihn mit aller Kraft an die Wasseroberfläche. Marcel hatte auf mich gewartet, schwamm zu mir und half, den Körper zum Steg zu bringen, wo der Bademeister ihn packte und mit Hilfe einiger Badegäste herauszog. Sie boten auch Marcel und mir Hilfe an, aber ich wollte nicht und lehnte ab.
    Ich wollte allein sein und blieb eine ganze Weile unter dem Steg; anwesend, auch aufnehmend, aber weit weg vom Geschehen. Ich blieb, bis ich so sehr zitterte, dass ich aus dem Wasser heraus musste. Der herbeigeeilte Rettungshubschrauber war wieder weggeflogen, einige Polizisten standen noch oben beim Bademeister. Gesprächsfetzen kamen bei mir an und verschwanden wieder. Marcel. Er stand allein bei der Seilrutsche. Ich nahm mein Handtuch und ging zu ihm.
    Er schluchzte. »Tot!«, brach es aus ihm hervor. Ich nahm ihn in den Arm und weinte.
    Seitdem verband mich etwas Besonderes mit Marcel, mit dem ich nie befreundet sein würde, was wir aber bei all unseren Begegnungen in unserer kleinen Gemeinde, selbst wenn wir uns nur über die Straße grüßten, immer miteinander teilten. Wir teilten den Tod miteinander, die Berührung mit ihm. Ich bin mir sicher, wir hatten ähnliche Alpträume: Ich schwimme in einem See, einem trüben Gewässer, plötzlich zieht mich etwas nach unten. Ich bekomme keine Luft mehr, trete und schlage um mich. Und dennoch. Die Berührung auf dem Grund, dort wo ich ihn gefunden hatte, die fasziniert mich noch heute und hat nichts von ihrer Wirkungsmacht eingebüßt. Der leblose Körper, dem ein Rest Wärme innewohnte. Die Schwerelosigkeit, ja, die Zärtlichkeit seiner Berührung unter Wasser. Der Tod wurde gewissermaßen mein geheimnisvoller Liebhaber.

    Es ist fast alles wie immer. Die Tür schwingt auf und Lisa wartet im Flur auf mich. Sie breitet die Arme aus, läuft auf mich zu und will mich drücken. Ihre Brille ist verrutscht. Ich wische alle aufkommenden Zweifel beiseite, ziele und schlage das Beil von rechts oben nach links unten. Die Klinge verrutscht beim Aufprall und ich treffe meine Tochter nur mit der stumpfen Seite am Kopf. Sie taumelt zurück, prallt gegen den Schuhschrank. Ich habe es mir leichter vorgestellt. Ein Laut dringt aus meiner Kehle, der einem Tierschrei ähnlich ist. Gefühle kämpfen in mir, und ich gegen sie an. Ein, zwei Schritte, ein horizontaler Schlag und ein Geräusch, welches ich nie wieder vergessen kann. Das Beil zertrümmert ihr Jochbein, ihre Nase, es bleibt stecken. Ich ziehe daran, aber es will nicht aus ihrem Kopf heraus. Ich spüre ihr Gewicht am Ende des Schafts. Ich heule auf, schreie, halte sie mit der linken Hand an der Wand und zerre an meiner Waffe, die sich mit einem schmatzenden Laut

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