Diabolos (German Edition)
löst. Lisa taumelt einen Schritt vor, ich hole weit aus und lasse einen weiteren Hieb auf ihrer Schädeldecke landen. Ich treffe die große Fontanelle, der Schlag treibt die verschiedenen Schädelplatten auseinander, lässt sie bersten und das Beil dringt tief in Lisas Kopf ein. Sie zuckt, gurgelt, bricht zusammen und ich fange sie auf. Ich gehe in die Knie und halte ihren kleinen Körper. Halte sie fest. Der schwärende Verwesungsgeruch und die schwirrenden Leichenbesiedler verringern meine empfundene Liebe und die Zärtlichkeit, die ich ihr gebe, nicht. Ich rücke ihre ins Gesicht eingedrungene, kaputte Brille zurecht, streiche ihr Haar glatt, küsse ihre Stirn, heule und schreie, bis ich würgen muss. Nie zuvor habe ich solche Trauer gespürt, wie in diesem Moment. Lisa, meine kleine Lisa! Ich drücke sie an mich, weine, sehe und höre sie, wie sie sich von mir verabschiedet hat. Wie sie fragte, ob ich ihr noch Winnie Puh vorlesen könne. Der Abschiedskuss, Karsten der hinter ihr stand, lächelte und winkte.
Ich halte sie … Wie ich diesen Augenblick festhalten, ja einfrieren will, auf dass er niemals vergehen möchte.
Karsten.
Ich höre ihn aus seinem Arbeitszimmer. Ein stetes Geräusch, als würde ein Möbel verrückt werden. Meine Tränen versiegen, und ich weiß, dass ich hier noch nicht fertig bin. Ich lege Lisa sanft zu Boden, nehme das Beil und stehe auf. Mit dem Ärmel wische ich mir die Augen aus, schlucke kurz und sammle mich, verdränge aufkommende Sentimentalitäten, stelle sie mir bildlich wie ein Seil vor, dass ich einfach durchschneide. Es hilft. Meine Atmung beruhigt sich und ich beginne zu planen. Wo wird Karsten stehen? Wie wird er aussehen? Was, wenn ich ihn verfehle? Ich schleiche zur Tür, die zu seinem Arbeitszimmer führt, verharre dort und lausche. Es sind die Rollen seines Bürostuhls, die das Geräusch verursachen, sowie der Stuhl selbst, der, beinahe rhythmisch, an die Tür schlägt. Ich versuche die Geräusche zu Bildern zu formen. Karsten … nein, es ist nicht mehr Karsten, aber ein neuer Begriff für das, was mich dort hinter der Tür erwartet, fällt mir nicht ein, also bleibe ich bei Karsten. Also, Karsten, der seinen Bürostuhl unablässig gegen die Tür schiebt. Immer und immer wieder. Gut.
Ich gehe einen Schritt zurück, stelle mich breitbeinig vor die Tür und trete zu. Ich sehe, wie der Bürostuhl nach einer halben Drehung umkippt. Ich sehe Karsten, meinen Mann. Er fällt durch den fehlenden Halt nach vorne, doch seine Gier hält ihn auf den Beinen und treibt ihn mir entgegen – schneller als ich erwartet habe. Mir fehlt die Zeit für einen Hieb. Ich schreie auf, drehe mich seitwärts, stürze ihm entgegen und ramme ihn mit der Schulter. Der Stoß setzt ihm zu. Er schlägt um sich, greift nach mir, findet aber keinen Halt und stolpert zwei, drei staksige Schritte zurück. Er fällt über den Bürostuhl zu Boden. Ich trete mit erhobenem Beil zu ihm, ziele und lasse das Beil mit voller Wucht auf seinen Kopf niederkommen. Ich keuche und stöhne in einem, stelle mich aufrecht hin, verschränke die Arme hinter dem Kopf und strecke mich durch, weil ich einen Druck auf meiner Brust spüre, der mir die Luft raubt. Karsten zuckt, führt seine geplanten Ansätze des Aufstehens aus, erschlafft. Ich bleibe dennoch wachsam.
Ich stehe lange in dem Zimmer, starre aus dem Fenster, erinnere mich an gemeinsame Erlebnisse, gute wie schlechte. Die hereinbrechende Dämmerung und die langsam zu mir durchsickernden Geräusche aus dem Wohnhaus und von der Straße, die von gefährlichen Aktivitäten zeugen, zeigen mir, dass es Zeit wird, weiterzumachen.
Ich schüttele das Bedürfnis, mich einfach nur hinzulegen, ab, greife Karstens Beine und schleife ihn ins Schlafzimmer, wo ich ihn auf das Bett hieve. Dann trage ich Lisa dorthin und lege sie neben ihn. Ich decke beide zu. Sollte ich ihnen die Decke über ihre Gesichter ziehen? Es ist nicht das Bild eines friedvollen Todes, also lasse ich es sein.
Es ist auch keine friedvolle Zeit mehr.
In der Wohnung suche ich einige Sachen zusammen, die ich brauchen werde. Eine Tasche mit Nahrungsmitteln und Getränken, Werkzeug und alles, was man als Waffe benutzen kann. Ich stelle alles an die Hintertür, die in den Garten führt, und spähe nach draußen. Es ist ruhig in unserem Garten. Das Scharren von der Straßenseite ist lauter geworden und ein vielkehliges, gequältes Stöhnen hat sich hinzugesellt. Ich brauche den Blick aus dem Fenster nicht,
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