Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus
die Pigmentierung der Haut ein genetisch übertragbares Merkmal, das sich durchaus in Abhängigkeit von klimatischen Differenzen entwickelt haben mag, auch lassen sich dunkelbraun und rosa kontrastreich voneinander abgrenzen, jedoch gibt es keine Möglichkeit, klar definierbare Grenzen zu ziehen. Natürlich könnte man Menschen so «anordnen», dass ihr Teint immer heller bzw. dunkler wird. Jedoch ist es ein Ding der Unmöglichkeit, eine klar benennbare Trennlinie zu ziehen und einen Farbteint zu benennen, der einen Menschen «gerade noch» bzw. «nicht mehr»
weiß
oder Schwarz sein lässt. Folglich ist es unmöglich, das Spektrum von «Hautfarben» irgendwie in plausibel voneinander abgrenzbare Räume zu verwandeln, geschweige denn, sie konstruierten «Menschenrassen» zuzuschreiben.
Tatsächlich wirft ein solches Unterfangen die Frage nach demSinn oder Unsinn des Projektes «Hautfarbe» auf. Letztlich gibt es ebenso viele «Hautfarben» wie es Nasenformen oder Gesichtskonturen gibt – annähernd unendlich viele. Deswegen mündet die Frage «Wie viele Hautfarben gibt es?» in die Frage: «Warum sehen wir eigentlich Hautfarben?» Wir sehen sie, weil uns beigebracht wurde, «Rassen» zu sehen, und «Hautfarbe» dabei – im Verbund mit anderen körperlichen Konstitutionen sowie kulturellen und religiösen Merkmalen – eine wichtige Rolle zugewiesen wird. Anders ausgedrückt: «Hautfarben» sind
nicht
von Natur aus sichtbar, sondern wir sehen sie, weil Rassismus dieses Sehen erfunden und instrumentalisiert hat. Letztlich ist es pure Ideologie, wenn man versucht, einen kausalen Zusammenhang zwischen der Pigmentierung, anderen körperlichen Konstitutionen und kulturellen und religiösen Merkmalen herzustellen.
Die Erfindung der Grenzen zwischen «Hautfarben», auch in ihrer abstrahierenden Dichotomisierung von «schwarz» und «weiß», und ihre Funktion für kulturelle Alterisierungsprozesse sind seit der Antike angelegt. Insbesondere in der Physiognomie spielt das (Haut) Farbentheorem eine wichtige Rolle. In Mythen wie in philosophischen Schriften wird nach den Ursachen und Implikationen von verschiedenen «Hautfarben» gesucht und dabei meist das Klima als ursächlich verantwortlich skizziert.
Mit dem Erstarken des Christentums erhielten antike «Hautfarbensymboliken» eine neue Bedeutung und Bedeutsamkeit. Weiß wird als schön, rein und tugendsam imaginiert und Schwarz als Farbe des Bösen, des Unheils und der Abwesenheit von Schönheit. Dieses Wissen stand zur Verfügung, als sich das
weiße
Europa im 16. Jahrhundert weltweit fremde Territorien, Reichtümer und Menschen aneignete. Dass hier all den von der Antike über die Renaissance bis zur Aufklärung als genuin europäisch postulierten Grundwerten – nämlich Freiheit, Demokratie, Moral, «Zivilisation» und das Primat menschlicher Würde – widersprochen wurde, war auch damals bereits offenkundig und rief Kritik hervor, wie etwa William Shakespeares
Othello
oder
The Tempest
belegen.
4. Gibt es Gene, die Menschen nach «Rassen» unterscheidbar machen? Wissenschaftler_innen wie Francesco Cavalli-Sforza haben herausgearbeitet, dass es nicht möglich ist, Menschen genetisch nach «Rassen» zu unterscheiden. Die genetischen Unterschiede zwischenzwei Menschen aus Afrika sind durchschnittlich mindestens genauso hoch oder noch höher als die zwischen Weißen und Schwarzen. Oft herrscht zwischen Individuen einer von den «Rassentheorien» als genetisch gleich definierten Gruppe eine größere Variabilität als zwischen Individuen, die von diesen als Angehörige verschiedener «Rassen» angesehen werden. Es gibt bei Menschen keine reinerbigen Teilpopulationen, vielmehr ist von einem Kontinuum genetischer Unterschiede auszugehen. Jede Grenzziehung in diesem Kontinuum ist daher willkürlich und folgt einem ideologisch motivierten historischen Herstellungsverfahren. Letztlich ist es die symbolische Ordnung von rassialisierter Differenz, die dem Sehen zugrunde liegt, und nicht umgekehrt. Diese baut auf der Menge von Melanin auf, die dem Teint menschlicher Haut eigen ist. Allein diese ist durch 5 von insgesamt 25.000 Genen geregelt.
5. Wer ist Weiß und wer Schwarz? So paradox das klingen mag, aber das Ignorieren von «Hautfarben» ist auch keine Lösung. Rassismus kategorisiert und markiert u.a. mit Hilfe von «Hautfarben» Menschen als Akteur_innen, Profiteur_innen und Privilegierte des Rassismus oder als Diskriminierte, Fremdmarkierte und Entmachtete –
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