Die Abenteuer des Sherlock Holmes
Raum.
»Dann hoffe ich aber, daß wenigstens Sie mich mit Ihrer Gesellschaft beehren werden«, sagte Sherlock Holmes. »Es ist mir immer eine Freude, einem Amerikaner zu begegnen, Mr. Moulton, denn ich gehöre zu denen, die daran glauben, daß die Torheit eines Monarchen und die Stümperei eines Ministers vor vielen Jahren unsere Nachkommen doch nicht daran hindern werden, eines Tages Bürger desselben weltweiten Landes unter einer Flagge zu sein, die den Union Jack und das Sternenbanner vereint.«
»Der Fall war sehr interessant«, bemerkte Holmes, als unsere Gäste gegangen waren, »denn er ist dazu geeignet, sehr deutlich zu zeigen, wie einfach die Erklärung für eine Angelegenheit sein kann, die zunächst nahezu unerklärlich zu sein scheint. Nichts wäre erklärlicher. Nichts könnte natürlicher sein als die Folge der Ereignisse, so, wie diese Dame sie vorgetragen hat, und nichts seltsamer als das Ergebnis, wenn zum Beispiel Mr. Lestrade von Scotland Yard es betrachtet.«
»Sie haben sich also nicht geirrt, nicht wahr?«
»Von Anfang an waren zwei Tatsachen mir ganz offensichtlich; einmal die, daß die Dame durchaus willens gewesen war, die Trauung vornehmen zu lassen, zum anderen die, daß sie dies innerhalb weniger Minuten nach ihrer Rückkehr bereut hatte. Im Verlauf des Morgens war also offenbar etwas vorgefallen, was diesen Meinungswandel bei ihr verursacht hatte. Was konnte das sein? Sie kann mit niemandem gesprochen haben, während sie nicht im Haus war, denn sie ist die ganze Zeit mit dem Bräutigam zusammen gewesen. Hat sie also jemanden gesehen? Wenn, dann muß es jemand aus Amerika sein, denn sie ist erst seit so kurzer Zeit in diesem Land, daß kaum jemand einen so tiefen Einfluß auf sie gewonnen haben kann, daß allein sein Anblick sie veranlassen könnte, ihre Pläne so vollkommen zu ändern. Wie Sie sehen, sind wir durch ein Ausschließungsverfahren bereits zu der Idee gekommen, daß sie einen Amerikaner gesehen haben kann. Wer könnte nun dieser Amerikaner sein, und weshalb sollte er einen so großen Einfluß auf sie haben? Er könnte ein Liebhaber sein; er könnte ein Ehemann sein. Mir war bekannt, daß sie ihre Zeit als junge Frau auf rauhen Schauplätzen und unter seltsamen Bedingungen verbracht hat. So weit war ich gekommen, noch bevor ich Lord St. Simons Bericht gehört hatte. Als er uns von dem Mann in der Kirchenbank erzählt hat, von der Veränderung in der Haltung der Braut, von einem so durchsichtigen Verfahren wie dem, einen Blumenstrauß fallen zu lassen, um ein Briefchen erhalten zu können, von ihrem Gespräch mit ihrer vertrauten Zofe, und von ihrer sehr bezeichnenden Anspielung darauf, einen ›
claim
unter den Nagel zu reißen‹, was unter Goldsuchern soviel heißt wie, etwas in Besitz nehmen, worauf eine andere Person ältere Ansprüche hat, da wurde mir die ganze Situation absolut klar. Sie war mit einem Mann fortgegangen, und der Mann war entweder ein Liebhaber oder ein früherer Ehemann, und die Chancen standen zugunsten der letzteren Möglichkeit.«
»Und wie um alles in der Welt haben Sie sie gefunden?«
»Das hätte schwierig sein können, aber unser Freund Lestrade hatte Informationen in der Hand, deren Wert er selbst nicht kannte. Die Initialen waren natürlich von allergrößter Bedeutung, aber es war noch wertvoller, zu wissen, daß er in der letzten Woche seine Rechnung in einem der erlesensten Londoner Hotels beglichen hatte.«
»Woraus haben Sie diese Erlesenheit deduziert?«
»Aus den erlesenen Preisen. Acht Shilling für ein Bett und acht Pence für ein Glas Sherry, das deutete auf eines der teuersten Hotels. In London gibt es nicht sehr viele, die solche Preise verlangen. Im zweiten Hotel, das ich aufgesucht habe, in der Northumberland Avenue, habe ich bei einer Durchsicht des Gästebuchs erfahren, daß Francis H. Moulton, ein Gentleman aus Amerika, erst einen Tag zuvor ausgezogen war, und als ich die sonstigen ihn betreffenden Eintragungen durchgesehen habe, bin ich auf die gleichen Posten gestoßen, die ich auf der Rechnungsdurchschrift gesehen hatte. Seine Post sollte nach 226 Gordon Square weitergeleitet werden, also bin ich dorthin gefahren, und da ich das Glück hatte, das liebende Paar zu Hause anzutreffen, habe ich mich erdreistet, ihnen einige väterliche Ratschläge zu geben und ihnen klarzumachen, daß es für sie in jedem Fall besser wäre, ihre Position ein wenig deutlicher darzulegen, sowohl der Öffentlichkeit allgemein als auch
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