Die Abenteuer des Sherlock Holmes
daß Sie in großen Schwierigkeiten gewesen sind«, gab Holmes zurück.
»Weiß Gott, das bin ich! – Schwierigkeiten, die ausreichen, mich um den Verstand zu bringen, so plötzlich und so schrecklich sind sie. Mit öffentlicher Entehrung hätte ich fertigwerden können, obwohl ich ein Mann mit bisher absolut fleckenlosem Charakter bin. Privates Ungemach ist ebenfalls jedem beschieden; aber beide zusammen und gleichzeitig und in so schrecklicher Form, das ist genug, um mich bis in die Tiefen meiner Seele zu erschüttern. Außerdem betrifft es nicht mich allein. Die erlauchtesten Personen in diesem Land könnten darunter leiden, wenn nicht ein Ausweg aus dieser gräßlichen Affaire gefunden wird.«
»Bitte fassen Sie sich, Sir«, sagte Holmes, »und geben Sie mir eine klare Darlegung, wer und was Sie sind und was Sie heimgesucht hat.«
»Mein Name«, antwortete unser Besucher, »ist Ihnen vielleicht bekannt. Ich bin Alexander Holder, von der Bankgesellschaft Holder & Stevenson, Threadneedle Street.«
Der Name war uns tatsächlich wohlbekannt und gehörte dem Seniorpartner der zweitgrößten privaten Bankgesellschaft der Londoner City. Was konnte sich nur ereignet haben, das einen der ersten Bürger Londons in diesen beklagenswerten Zustand versetzt hatte? Voller Neugier warteten wir, bis er sich mit Hilfe einer weiteren Anstrengung so weit gefaßt hatte, daß er seine Geschichte erzählen konnte.
»Ich glaube, daß Zeit kostbar ist«, sagte er, »deshalb bin ich hergeeilt, als der Polizeiinspektor vorschlug, ich sollte mich um Ihre Mitarbeit bemühen. Ich bin mit der Untergrundbahn zur Baker Street gekommen und dann zu Fuß geeilt, weil Droschken bei diesem Schnee nur langsam vorankommen. Deshalb war ich so außer Atem; ich bin nämlich einer, der sich körperlich kaum fordert. Jetzt geht es mir besser, und ich will Ihnen die Tatsachen so knapp und doch so deutlich darlegen, wie ich kann.
Sie wissen natürlich, daß für erfolgreiche Bankgeschäfte ebensoviel davon abhängt, daß man lohnende Objekte findet, um seine Mittel zu investieren, wie auch davon, daß man seine Verbindungen ausbaut und die Anzahl seiner Kunden erhöht. Eine unserer lukrativsten Möglichkeiten, Geld anzulegen, ist in Form von Darlehen, wenn die Sicherheiten einwandfrei sind. In den vergangenen Jahren haben wir in dieser Richtung einiges getan, und es gibt viele vornehme Familien, denen wir große Summen vorgeschossen haben, welche durch ihre Gemälde, Bibliotheken oder ihr Silber gesichert sind.
Gestern früh saß ich in meinem Büro in der Bank, als einer der Angestellten mir eine Karte hereinbrachte. Ich habe einen Schrecken bekommen, als ich den Namen darauf sah, es war nämlich kein anderer als der von – also, vielleicht sollte ich nicht einmal Ihnen mehr sagen, als daß es ein Name war, den auf der ganzen Welt jeder kennt – einer der höchsten, vornehmsten, herausragendsten Namen in England. Ich war von der Ehre überwältigt, und als er eintrat, habe ich versucht, das so sagen, aber er ist sofort zum Geschäft gekommen, mit der Haltung eines Mannes, der es eilig hat, eine unangenehme Aufgabe hinter sich zu bringen.
›Mr. Holder‹, sagte er, ›man hat mir mitgeteilt, daß Sie gewöhnlich Geld vorschießen.‹
›Die Gesellschaft tut dies, wenn die Sicherheiten in Ordnung sind‹, habe ich geantwortet.
›Es ist für mich absolut wichtig‹, sagte er, ›sofort fünfzigtausend Pfund zu bekommen. Natürlich könnte ich mir eine derart lächerliche Summe und zehnmal mehr von meinen Freunden borgen; ich ziehe es aber vor, die Sache geschäftsmäßig zu erledigen und dieses Geschäft persönlich abzuwickeln. Sie verstehen sicher, daß es bei meiner Position unklug wäre, Verpflichtungen einzugehen.‹
›Für welche Zeit, wenn ich fragen darf, möchten Sie diese Summe haben?‹ habe ich gefragt.
›Am kommenden Montag wird eine große Summe zu meinen Gunsten fällig, und dann werde ich Ihnen selbstverständlich das zurückzahlen, was Sie mir geliehen haben, zu jedem Zinssatz, den zu fordern Sie für tunlich halten. Es ist für mich aber äußerst wichtig, daß das Geld sogleich ausgezahlt wird.‹
›Ich wäre glücklich, wenn ich es Ihnen ohne weitere Verhandlungen aus meinem Privatvermögen vorstrecken könnte‹, habe ich gesagt, ›die Belastung wäre jedoch mehr, als es vertragen kann. Wenn ich es, andererseits, namens der Gesellschaft tue, dann muß ich, um meinem Partner gerecht zu werden, sogar in Ihrem Fall darauf
Weitere Kostenlose Bücher