Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Abenteuer des Sherlock Holmes

Die Abenteuer des Sherlock Holmes

Titel: Die Abenteuer des Sherlock Holmes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Conan Doyle
Vom Netzwerk:
durchschnittlichen Erzähler in den Sinn käme. Nehmen Sie eine Prise Schnupftabak, Doktor, und geben Sie zu, daß dieses Beispiel ein Punkt für mich ist.«
    Er reichte mir seine Schnupftabaksdose aus Altgold, mit einem großen Amethysten in der Mitte des Deckels. Diese Pracht stand in einem so großen Gegensatz zu seinen schlichten Gewohnheiten und seinem einfachen Leben, daß ich einen Kommentar hierzu nicht unterdrücken konnte.
    »Ah«, sagte er, »ich hatte vergessen, daß ich Sie einige Wochen lang nicht gesehen habe. Das ist ein kleines Souvenir des Königs von Böhmen als Gegenleistung für meine Hilfe im Fall Irene Adler.«
    »Und der Ring?« fragte ich, wobei ich den bemerkenswerten Brillanten musterte, der an seinem Finger glitzerte.
    »Der stammt von der holländischen Herrscherfamilie; die Angelegenheit, in der ich ihr zu Diensten war, war allerdings so delikat, daß ich sie nicht einmal Ihnen anvertrauen kann, obwohl Sie so freundlich waren, eines oder zwei meiner kleinen Probleme aufzuzeichnen.«
    »Und? Beschäftigt Sie zur Zeit wieder ein Fall?« fragte ich interessiert.
    »Vielleicht zehn oder zwölf, aber es ist nichts dabei, was besonders interessant wäre. Verstehen Sie – wichtig, ohne interessant zu sein. Übrigens habe ich festgestellt, daß es meistens die unwichtigen Fälle sind, die Gelegenheiten zu interessanten Beobachtungen und zur schnellen Analyse von Ursachen und Wirkungen bieten, die den Reiz einer Untersuchung ausmacht. Die größeren Verbrechen sind häufig die einfacheren, denn je größer das Verbrechen, desto offensichtlicher ist in der Regel das Motiv. Abgesehen von einer reichlich verwickelten Angelegenheit, die mir aus Marseille zugekommen ist, gibt es in keinem dieser augenblicklichen Fälle interessante Besonderheiten. Es wäre aber möglich, daß ich etwas Besseres in Händen habe, ehe allzu viel Zeit verstrichen ist; wenn ich mich nicht sehr irre, kommt nämlich da einer meiner Klienten.«
    Er hatte sich von seinem Stuhl erhoben, stand zwischen den auseinandergezogenen Vorhängen und schaute hinab auf die fade, farblose Londoner Straße. Ich blickte über seine Schulter und sah, daß auf dem gegenüberliegenden Gehsteig eine große Frau stand, die eine schwere Pelzboa um den Nacken und eine lange, gekräuselte, rote Feder in einem breitkrempigen Hut trug, den sie in der koketten Art der Herzogin von Devonshire 15 schräg über dem Ohr sitzen hatte. Unter diesem gewaltigen Helm warf sie nervöse, zögernde Blicke zu unseren Fenstern hinauf, während ihr Körper leicht vor und zurück schwankte und ihre Finger nervös mit den Knöpfen ihrer Handschuhe spielten. Plötzlich, mit einem förmlichen Eintauchen wie dem eines Schwimmers, der vom Ufer abstößt, eilte sie quer über die Straße, und wir hörten das schrille Klingeln der Glocke.
    »Mir sind solche Symptome vertraut«, sagte Holmes. Er warf seine Zigarette ins Feuer. »Zögerndes Schwanken auf dem Gehsteig bedeutet immer eine
affaire du cœur.
Sie möchte einen Rat haben, ist aber nicht sicher, ob die Sache nicht allzu delikat ist, als daß man sie jemandem mitteilen könnte. Aber selbst hier gibt es noch Unterschiede. Wenn einer Frau von einem Mann schlimmes Unrecht zugefügt worden ist, dann schwankt sie nicht mehr, und das übliche Symptom ist ein zerrissener Klingelzug. Hier können wir aber davon ausgehen, daß es sich um eine Liebesangelegenheit handelt, daß die Maid aber weniger zornig denn verwirrt oder bekümmert ist. Aber da kommt sie persönlich, um uns aus unseren Zweifeln zu erlösen.«
    Noch während er sprach, hörten wir ein Klopfen an der Tür, und der Hausbursche trat ein, um Miss Mary Sutherland anzukündigen; die Lady selbst ragte indessen hinter seiner kleinen schwarzen Gestalt auf wie ein Handelsschiff unter vollen Segeln hinter einem kleinen Lotsenboot. Sherlock Holmes hieß sie mit der ihm eigenen zwanglosen Höflichkeit willkommen, und nachdem er die Tür geschlossen und der Dame mit einer knappen Verneigung einen Lehnstuhl angeboten hatte, musterte er sie in der eingehenden und dennoch abstrakten Weise, die für ihn eigentümlich war.
    »Finden Sie nicht«, sagte er, »daß bei Ihrer Kurzsichtigkeit das viele Maschineschreiben ein wenig anstrengend ist?«
    »Am Anfang war es so«, antwortete sie, »aber inzwischen weiß ich auch ohne hinzusehen, wo die Buchstaben sind.« Dann ging ihr plötzlich die volle Bedeutung seiner Worte auf, sie fuhr heftig zusammen und sah hoch, mit Furcht und

Weitere Kostenlose Bücher