Ein süßes Abenteuer
PROLOG
1817
D iana Rothwell, nunmehr die Dowager Duchess of Medbourne, wurde zur Witwe, ohne je eine richtige Ehe geführt zu haben. Als sie mit vierundzwanzig Lenzen ihren achtzigjährigen Gemahl verlor, bestand sie darauf, an der Beerdigungszeremonie in der Krypta der Hauskapelle auf Medbourne Castle teilzunehmen.
Selbstverständlich verletzte sie damit die Etikette, gemäß der eine vornehme Dame der Beerdigung ihrer Angehörigen grundsätzlich fernzubleiben hatte. Damit nicht genug, trug sie statt des schwarzen Trauergewandes und der Witwenhaube, die sie erst nach Ablauf eines Jahres ablegen durfte, ein gewöhnliches Tageskleid.
Die schockierten Trauergäste konnten ja nicht ahnen, dass Diana damit den Wunsch ihres verstorbenen Gatten Charles erfüllte. Da ihre Ehe kinderlos geblieben war, hatte er ihr sein Anwesen sowie den größten Teil seines Gesamtvermögens hinterlassen, und außerdem einen langen Brief, in dem er seine Wünsche hinsichtlich ihrer Zukunft darlegte.
In der Kapelle hatten sich neben den höherrangigen Dienstboten eine ganze Reihe von Gentlemen eingefunden – Freunde und Nachbarn des Verstorbenen, die dieser zur Testamentsverlesung im Anschluss an die Zeremonie eingeladen hatte. Sie alle sollten für ihre langjährige Freundschaft und, was das Personal betraf, für ihre treuen Dienste mit Geldgeschenken oder persönlichen Andenken belohnt werden. Unterdessen hielten sich die Gemahlinnen jener Herren sittsam in der Großen Halle des Schlosses auf. Während sie auf die Rückkehr ihrer Gatten warteten, ließen sie sich eifrig über das Betragen und über die Kleidung ihrer Gastgeberin aus.
“Weder anständig noch
comme il faut.
Aber hätten Sie etwas anderes von ihr erwartet? Im Grunde fand ich es schon damals anstößig, dass ein Greis wie der Duke ein siebzehnjähriges junges Mädchen ehelicht, das dem Alter nach seine Enkelin sein könnte.”
“Nicht einmal einen Erben hat sie ihm geschenkt.”
“Sie soll ihm sogar bei seinen Experimenten geholfen haben.”
Die allgemeine Missbilligung wuchs erst recht, als sich später herausstellte, dass der Duke, abgesehen von den Vermächtnissen an seine Freunde, seinen gesamten Besitz seiner Witwe hinterließ.
Doch Diana kümmerte sich nicht um das Gerede. Auf dem Sterbebett hatte Charles ihr einen Umschlag übergeben.
“Kein Mann könnte sich eine bessere Ehefrau als dich wünschen”, hatte er gesagt. “Nach meinem Tod sollst du diesen Brief lesen und beherzigen, was ich darin geschrieben habe. Öffne ihn aber sofort, hörst du, warte auf keinen Fall bis nach der Beerdigung.”
Gehorsam wie immer, hatte Diana den Brief gelesen, der sie zunehmend verblüffte, um nicht zu sagen bestürzte.
“Mein liebes Kind”, stand da, “denn als das habe ich Dich stets betrachtet, als meine Tochter und als meine Schülerin. Du hast Deine Liebe einem Greis geschenkt, der Dir nicht bieten konnte, was Dir rechtmäßig zusteht, nämlich eine wahre Ehe und Kinder. Insofern habe ich nicht nur Dich betrogen, sondern auch Deine Familie, wenngleich Du es mir nie zum Vorwurf gemacht hast.
Ich weiß wohl, dass Deine verarmten Eltern sich nur wegen meines Besitzes bereit fanden, Dich mir zur Frau zu geben. Glücklicherweise musstest Du nicht deine ganze Jugend an mich verschwenden. Nun, nach meinem Ableben, sollst Du Dein Leben genießen, wie es Dir bislang verwehrt war.
Sicherlich wirst Du nicht nur mit Bedauern an unsere gemeinsamen Jahre zurückdenken. In dieser Zeit hast Du bestätigt, was ich schon immer vermutete: dass eine junge Frau ebenso umfassendes Wissen erwerben und ebenso glänzende Leistungen erbringen kann wie ein junger Mann. Als Mann hättest Du an meiner alten Universität ein ausgezeichnetes Examen ablegen können. Genau das wollte ich beweisen, indem ich Dich unterrichtete.
Nun aber sollst Du Dich endlich ein wenig amüsieren. Also traure in der Öffentlichkeit nicht um mich. Nimm an meiner Beerdigung teil, aber nicht in Trauerkleidung. Ich möchte nicht, dass Du ein ganzes Jahr lang Schwarz trägst und in den darauffolgenden Monaten Lila. Vielmehr solltest Du sofort wieder unter die Leute gehen und all die Dinge tun, denen Du seit unserer Heirat entsagen musstest.
Nachdem ich Dir hiermit meine letzten Wünsche kundgetan habe, hoffe ich, dass Du sie treulich erfüllst. Gewiss wirst Du die Jahre unseres gemeinsamen Studiums nie vergessen, ja sogar künftig davon profitieren. Hüte Dich vor Mitgiftjägern. Wenn Du eine neue Ehe
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