Die Abschaffung der Arten
andre, die eben noch, in dem Gefühl, für alle beide die Verantwortung zu tragen, einen Ausweg gesucht hatte, ein Schlupfloch, einen Durchgang, fuhr herum, packte die, für die sie sorgen wollte, bei den Schultern, und schrie, um das Tosen draußen und in ihrem Kopf zu übertönen: »Was, Musik? Wieder: Musik! Was weißt du? Hast du mich auch für dumm verkauft wie Preisnitel, wie die Akademie? Ist es doch wahr, was wir ...«
Das wilde Flackern tanzte fast feierlich auf dem Gesicht der Angeredeten, die nicht verstand und sagte: »Was hat man denn ...«
»Daß du ein Mantel bist für ... eine Streubombe! Daß sie alle in dir sind, als Partiale, ein Invasionsheer, daß du so ... mindestens so viele bist wie diese ... Affen hier, daß in dir Tausende Gente wohnen und der Schlüssel ... bah immer dieselbe Scheiße, immer dieselbe Sackgasse bei allen Ermittlungen und Untersuchungen und ... Der Schlüssel, hieß es in den Archiven, die wir knacken konnten, und in den Langzeitgedächtnissen von abgestürzten Siebenvierern, aus altem Schutt und Schrott der zerschlagenen Schiffe, der Schlüssel sei: Musik! Und keiner hier, keine, verstehst du, niemand weiß, was das bedeuten soll, Musik, ob das ein Name ist für etwas in der Sprache, die du hast, für eine, was weiß ich, steganographische Einbettung der Gente-Partiale in deinem Hirn oder für irgendeine verfickte, verschissene Hexerei der alten Welt ... Sag mir das jetzt, was ist Musik, was weißt, du, wer bist du? Wir sind doch sowieso im Arsch! Kannst du nicht so viel Respekt vor mir haben, daß du mir die Wahrheit sagst? Musik?«
»Das ist es ja, ich ...«, Fiamettina suchte nach Worten, »ich weiß es, und weiß es auch wieder nicht ... verstehst du, ich kann's mir vorstellen, aber ich habe ... nie ... Musik gehört.«
»So. Also. Man hört es. Es ist zum Hören. Es hat ... es hat mit Orientierung zu tun? Mit dem Innenohr? Ein Pfeifen vielleicht, ein räumliches ... für den Gleichgewichtssinn? So, wie unsere Kameras dich gezeigt haben, daß du ... du warst ... so ein Schwanken, als du ... als du damals das Grundstück betreten hast, den offenen Platz, wo der Tempel ...?«
»Ich kann dir das nicht sagen, Pyretta. Ich tu es, und ich bin es, aber ich benenne und bestimm es nicht. Es ist das, was ich soll, so haben sie mich gemacht, gezeugt ... meine Mutter und mein Vater, die Luchsin und der Wolf. Daß ich die Musik erkenne, daß sie in mir ... es gibt das hier nicht, auf diesem Planeten. Es gibt Töne, es gibt Stimmen, es gibt Sprache und Krach, es gibt die Art, wie du im Gefängnis zu mir geredet hast, in dieser Zelle ... aber wir alle, ihr, die Minderlinge, und die Neudachse und die Siebenvierer und die Vaschen und die Salamander ... niemand hier hat je einen Ton, einen Takt, einen Klang Musik gehört. Es ist, als habe man das absichtlich ausgebrannt, als liege ein biologisch fixiertes Tabu drauf, als sei diese ganze Zivilisation, das Terraforming, die Kolonisation, anders als auf dem Mars, von Anfang an mit der Absicht errichtet worden, oder losgelassen, oder ... gepflanzt ... dieses eine Wissen unangetastet zu lassen, bis ich wach werden würde, bis ich mich dranmachen würde, meine Aufgabe ... ich kann sie hören, ich kann sie spielen, und wenn man mir die Zeit gibt und die Gelegenheit und den Ort ...«
Pyrettas Augen weiteten sich: »Du willst tatsächlich, daß ich dich hinführe. Du willst immer noch ... du hast nie von deiner Aufgabe abgelassen.«
Die Angeredete schüttelte den Kopf: »Mach mir keinen Vorwurf. Ich will das hier nicht, ich bin nicht schuld an ...«, eine Kopfbewegung, »hieran. Und meine Aufgabe ... bewußt hätte ich mich hundertmal davon verabschiedet, nicht erst, als ihr Zagreus ermordet und mich gefangen und gequält habt. Wenn ich nur gekonnt hätte! Ich wäre jederzeit bereit gewesen, zu schwören, daß ich davon ablasse, daß ich niemandem mehr Schwierigkeiten machen will, daß ich mich in jedes neue Schicksal zu ergeben bereit bin, das mir verwehrt, je wieder den Isottatempel zu suchen, je wieder die Musik wahrnehmen und denken zu wollen ... aber ich kann das gar nicht lassen. Solange ich atme, gibt es diese Aufgabe.«
Sie wußte, was sie damit sagte: Wenn es Pyretta noch ernst damit war, sie aufzuhalten, wozu die Abwehr sie ausgebildet hatte, dann mußte sie Fiametta töten.
Wollte sie das? Würde sie's tun?
»Ach Quatsch, hör auf«, sagte Pyretta, mit einem unsicheren, hübschen Lächeln. »Was soll's? Was hat irgendwer noch
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