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Die Abschaffung der Arten

Die Abschaffung der Arten

Titel: Die Abschaffung der Arten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Angst, sondern zum Sprung; während ihr Verstand noch darüber erschrocken war, daß etwas so Schlimmes einfach wie nebenher geschehen konnte, ohne daß die Zeit zerriß – die Freundin, eben am Leben, jetzt nicht mehr –, blitzten ihre Augen, und der zweite Schläger, den Arm mit dem Wasserrohr im Ausholen erhoben, zögerte einen Atemzug.
    Das genügte den Insekten.
    Sie schossen nieder auf die kleine Gruppe, als wären sie Kugeln, und zogen sich zu Filmen aus Leibern zusammen, auf den Gesichtern der Mörder, während sie Feuer nicht berührten, nur etwas einnebelten, daß sie sich fühlte wie von Milde umwoben, vielleicht von Wünschen oder Ahnungen. Es dauerte nur wenige Sekunden. Dann waren beide Minderlinge ohne Atem. Die Insekten erhoben sich erneut in ihre Höhe.
    Für mich?
    Feuer stand unter Schock und weinte, kniete bei der Freundin und berührte sie hier, da, am Arm, auf der Stirn, sah das Blut aus dem Kopf eine Lache auf dem Boden bilden, nicht versickern, denn hier war die Straße gut geteert. Für mich? Diese Käfer, diese Bienen, haben sie mich beschützt, ist alles, was hier geschieht, auf Befehl geschehen, gibt es eine Intelligenz, die dies steuert – hat meine Mutter alles vorausgewußt, erfüllt sich ein Gesetz?

    Lasara, Mutter, lux in diafana, creatrix . Alle alten und noch älteren Sprachen kehrten in Feuer zu einem Verstehen zurück, das einmal, lange bevor es ein Kind namens Feuer gegeben hatte, alle gelernt und gesprochen haben mußten, die jetzt in ihr wohnten, zu ihr kamen, zu sich.
    Mutter, du schickst mich weiter. Du spielst dein Spiel, und ich bin eine der Figuren. Auf wie vielen Feldern gleichzeitig kann dasselbe Spiel gespielt werden? In welchen Quartieren, in welchen Häusern wird um welchen Einsatz gewettet?
    Feuer beugte sich vornüber und küßte die Tote auf die schöne Stirn, dann sagte sie: »Pyretta«, womit sie der, die sie nicht mehr hören konnte, versprechen wollte, daß sie den Namen nicht vergessen würde.
    Ein Name nur: Ich selber habe schon zu viele, Feuer, Prinz, Prinzessin, Fiamettina, und ich weiß, daß auch die Eltern viele hatten, und deren Eltern, und daß gegen Ende der Langeweile auch die Menschen meistens mehr als einen Namen hatten, und Titel, Masken, personae . Feuer nahm an, daß die Minderlinge nur einen einzigen Namen besaßen, weil ihre Zivilisation erst wenige Generationen bestand; die Verwechslungsgefahr war noch nicht groß (da irrte sie: Es war der Ehrgeiz der Minderlinge gewesen, jede und jeden einzelnen als unverwechselbar zu betrachten; aus der Spannung zwischen dieser Einzigartigkeit und dem Gemeinwohl, dem zu dienen alle angehalten waren, sollte die Zivilisation ihren Treibstoff beziehen – das hatten sich einige der ersten Akademieregenten ausgedacht –, und damit sichergestellt war, daß es keine Dopplungen gab, benutzten sie zur Namensvergabe Computer, die jeweils aus einer fixen vorhandenen Anzahl von Morphemen auf der Grundlage historischen Wissens über die Menschen Kombinationen bauten, die dem genetischen Profil einer Person angemessen schienen und einigermaßen wohlklingend waren. Die Bedeutung wuchs dem einzelnen Namen aus seiner Differenz zu allen anderen Namen zu; es war eine uralte, aus der fernen Langeweile ererbte Geheimlehre, auf welche die Computer sich da verließen).

    Feuer schloß die Augen der Freundin und dachte: Ich glaube, daß sie frei gestorben ist und daß das immerhin doch etwas wert sein muß.
    Die Flamme stand auf. Sie brauchte keine Beschützerin, keine, die sie führte, das wußte sie jetzt. Wohin sie wollte, war, wohin sie mußte.
6. Aus dem Mund der Ewigkeit
    Padmasambhava erreichte den Ort, als wäre er hingeweht worden, und fand keine Lebenden mehr. Jede Wirrnis schwieg in der Mitte der Stadt, die auch die Mitte der Welt schien, omphalos , und Padmasambhava hörte, spürte, roch die Schwester, die Geliebte, die andere Seite seiner selbst jetzt herkommen. Ein kleines Weilchen nur, dann wäre sie hier, in den Mustern, in der Freistellung – er spürte, wie sie über Biologie nachdachte, über Territorien, über etwas, das einer namens Wempes, der etwas namens Vasch gewesen war, ihr beigebracht hatte, und Padmasambhava spann ihre Gedanken weiter, während er langsam, mit ruhigen Schritten, einen sehr geheimen Tanz zwischen den Leichen und den Trümmern begann: Die Menschen, die wahren, nicht diese, wie war der Name? Minderlinge? Nicht sie, sondern die echten Angehörigen der alten Art homo sapiens hatten

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