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Die Abschaffung der Arten

Die Abschaffung der Arten

Titel: Die Abschaffung der Arten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Zähnchen. Dann rief sie an der Wandung der Kaverne einen kurzen, stummen Film auf, den sie der Libelle erläuterte, während er flimmerte: »Das da, dieses Blasige, erkennst du's? Das ist ein Schimmelpilz.«
    »Sieht aus wie Schleim«, sagte die Libelle.
    Sie war skeptisch: Was sollte da deutlich gemacht werden? Die Freundin schmatzte, setzte sich auf trockenen Flechten zurecht und sagte: »Ist es auch. Eine sehr besondre Sorte allerdings. Der alte Name lautet dictyostelium discoideum . Ein hochinteressanter Lebenszyklus, paß nur auf.«
    Die Farben des Films sahen verlebt aus; was da so seltsam zuckte, wirkte zerlaufen, zerkocht. Die Libelle bsste leise: Skepsis wich vorsichtigem Interesse.

    Unterhalb der wulstigen Höhlenschwelle machten sich Arbeiterinnen daran, Leitern und Trittflächen für Gente zu installieren, die nicht fliegen konnten. Man lag noch artig in der Zeit, die Einrichtung der Plattformen und Endstellen würde in wenigen Wochen abgeschlossen sein. Geübte Gruppen kleinster Krabbler hatten schon vor Monaten die Wespenfabrik zwischen Rispengrasfeld und höherem Wald demontiert, um die Träger fürs neue Baugerüst im Höhleninnern zu nutzen. Das machte sich jetzt bezahlt.
    Fast alle Wespen waren unterdessen Richtung Landers fortgezogen.
    Die Libelle Philomena hörte, während sie sich Izquierdas Film ansah, die Arbeiterinnen und Arbeiter, Molche und Erdmäuse bei der Arbeit lachen, auch singen, Witze reißen. Das hatte es früher nicht gegeben, in der ersten Zeit nach der Befreiung. Jetzt arbeitete man heiter; das war gut.
    Es wurde überhaupt alles immer besser, bald sollte man vom Sonnenlicht allein leben können.
    »Die Menschen«, fuhr die beste Freundin der Libelle fort, »haben das, was du hier siehst, erst spät entdeckt, gegen Ende ihrer Herrschaft. Verstanden haben sie es nie. Jetzt – schau hin, die Vergrößerung: Das ist die vegetative Phase des Lebenszyklus. Einzelne Zellen. Ein zufälliges Kollektiv unverbundener Monaden.«
    »Sieht aus wie, ich weiß nicht ... wimmelnde Amöben?«
    »So in etwa, ja. Die Menschen nannten es Myxamobae. Sie verputzen Bakterien. Solange es welche gibt, solange für diese Art Nahrung gesorgt ist, wachsen die Zellen und vermehren sich. Aber jetzt, schau – wir nehmen ihnen die Wimmelchen weg.«
    »Hmmja. Oh ... he! Was ist denn das? Die ... diese Einzeller schuscheln und zittern aufeinander zu. Schieben sich ... sie verklumpen. Matschen aneinander.«
    »Ja. Eigenartig, nicht? Sie bilden eine andre Masse. Gewebegleich. Die Menschen nannten das Pseudoplasmodium.«
    »Es bewegt sich von allein! Ich kann ... ist das ein neues, eigenständiges Lebewesen?«
    »Schwer zu sagen, Liebste. Einzeller, die sich organisieren ... wie nenne ich das Ergebnis? Ich kann's beobachten, dann erkenne ich schnell: Es sucht ganz offensichtlich selbständig nach Futter. Eine winzig kleine Schnecke. Sie wird vom Licht angezogen. Sie achtet auf Temperaturunterschiede, auf Feuchtigkeit ...«
    »Besorgt sich was zum Fressen. Wie wir.«
    »Ganz recht. Hier, und jetzt beschleunigen wir den Prozeß. Da, eine neue Nahrungsquelle. Sie frißt. Und dann ...«
    »Noch 'ne Veränderung! Was wird's jetzt, eine Pflanze? Stiel, Stengel, oben eine Frucht ...«
    »Eine Sporenkapsel. Und wenn die Sporen ausgeschüttet werden, beginnt der Zyklus von neuem. Wir sehen, weit ausgestreut ...«
    »Wieder Myxamobae. Frische Einzeller.«
    »Richtig. Verstehst du?«

    Die Libelle dachte einen stillen Augenblick lang nach. Die Facetten ihrer Augen leuchteten kribblig dabei, als wären sie winzige Sender von Lichtnachrichten. Dann sagte sie: »Weil sie so was nicht konnten. Die Menschen. Deshalb ist ihnen passiert, was ihnen passiert ist. Deshalb haben wir sie überwunden. Weil sie nicht konnten, was die Myxamobae ...«
    Izquierda stellte die Ohren auf und schüttelte den Kopf: »Unsinn. Was sie besiegt hat, war nicht, daß sie keine Schnecke bilden konnten. Sondern daß sie's, ohne dazu gerüstet zu sein, dauernd versucht haben. Eine Verwechslung: Personen sind keine Myxamobae, egal, ob sich's bei den Personen um Menschen oder um Gente handelt.«
    Der Film erlosch.
    Die Libelle lachte leise; sie hatte verstanden.
    Eine schlimme Erlösung war auf den Weg gebracht.
3. Kurz vor Esprit
    Der Wind hatte sich hinter gekalkten Kühlwänden im Rücken riesiger Archivkathedralen zur Ruhe gelegt. Es war kein Akt des Protests; bloß das angemessene Verhalten für den inzwischen auf Jahrhunderte ausgedehnten Nachmittag

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