Die Achte Suende
Alberto den Kofferraum öffnete.
»
Madonna
«, rief der eine, ein schlaksiger Kerl und einen Kopf größer als die beiden anderen und vermutlich der Anführer des Einsatzkommandos. Gott weiß, was er im Kofferraum des kleinen Fiat erwartet hatte – auf keinen Fall eine purpurrote Schärpe, sorgsam gefaltet auf einem schwarzen, ebenso sorgsam gefalteten Talar mit roten Applikationen samt einem purpurfarbenen Scheitelkäppchen.
Aus einer Mappe aus rotem Saffianleder zog Alberto einen Reisepass mit goldfarbenem Aufdruck »Città del Vaticano« hervor. Den reichte er dem Carabiniere.
Hilfesuchend warf der Polizist seinen Kollegen einen Blick zu, und als diese noch immer ihre Maschinenpistolen im Anschlag hielten, zischte er durch die Zähne, sie sollten gefälligst die Waffen sinken lassen.
Das Foto im Reisepass des Kardinals entsprach gewiss nicht dem neuesten Stand – auch an einem Kardinal hält sich die Zeit schadhaft –, aber an der Echtheit des Dokuments konnte kein Zweifel bestehen. Name: S. E. Philippo Gonzaga, Cardinale di Curia, wohnhaft: Città del Vaticano.
Der Polizist stieß seinen Kollegen beiseite und trat salutierend vor die rückwärtige Seitenscheibe, hinter der Gonzaga noch immer regungslos verharrte.
»Entschuldigen Sie, Excellenza«, rief der Carabiniere durch die geschlossene Scheibe. »Ich konnte nicht wissen, dass Excellenza sich in einem alten Fiat auf Reisen begeben. Aber ich bin nur meiner Pflicht nachgekommen …«
Gonzaga warf dem zerknirschten Polizisten einen abschätzigen Blick zu, dann öffnete er das Seitenfenster einen schmalen Spalt und streckte fordernd die linke Hand aus.
Vorsichtig und mit spitzen Fingern reichte der Carabiniere den Pass zurück. Er salutierte, und mit einer heftigen Kopfbewegung gab er den beiden anderen das Zeichen zu verschwinden.
»Das wäre ja noch einmal gut gegangen«, prustete Alberto und ließ sich auf den Fahrersitz fallen.
Kapitel 2
Montagmorgen lief der Nachtzug von München nach Rom mit Verspätung in der Stazione Termini ein. Malberg hatte schlecht geschlafen, und das Frühstück, das ihm der Schlafwagenschaffner hereinreichte, war eine mittlere Katastrophe.
Auf dem Bahnsteig zog Malberg missmutig seinen Koffer hinter sich her. In tadellosem Italienisch nannte er dem Taxifahrer sein Ziel: »Via Giulia 62. Hotel
Caxdmal,per favore.«
Dies erwies sich insofern als Fehler, als der Taxifahrer aus unerfindlichen Gründen begann, dem sprachkundigen Fremden sein Leben zu erzählen, woran Malberg nicht das geringste Interesse hatte und von dem ihm nur fünf Töchter im Gedächtnis blieben.
Das Hotel lag nicht weit von der Piazza Navona in einem Viertel mit zahlreichen Antiquitätenhändlern und Antiquaren. Malberg war schon einige Male hier abgestiegen, und so begrüßte ihn der Concierge in der ganz in Rot gehaltenen Rezeption überschwänglich.
Auf dem Zimmer im ersten Stock packte er lustlos seinen Koffer aus - er hasste das Aus-und Einpacken wie die Pest -, dann griff er zum Telefon und wählte die elfstellige Nummer eines Mobiltelefons.
Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis am anderen Ende der Leitung abgehoben wurde. Eine verschlafene weibliche Stimme meldete sich: »Hallooo?«
»Marlene?«, fragte Malberg unsicher.
»Lukas, du? Wo steckst du? Wie spät ist es?«
»Also der Reihe nach«, begann Malberg amüsiert. »Ja, ich bin es. Ich habe eben im Hotel Cardinal eingecheckt. Und es ist zehn Uhr fünfundvierzig. Sonst noch Fragen?«
Die Frau am anderen Ende der Leitung lachte: »Lukas, du bist noch derselbe Spaßvogel wie früher!«
»Wir waren verabredet, erinnerst du dich?«
»Ich weiß. Aber der Vormittag ist nun mal nicht meine Zeit. Hör zu: Ich hole dich in einer Stunde am Hotel ab. Dann fahren wir gemeinsam zur Marchesa. Bis gleich.«
Malberg betrachtete verdutzt den Telefonhörer, als erwartete er noch ein Auf Wiedersehen, aber Marlene hatte längst aufgelegt.
Eigentlich kannte er Marlenes Sprunghaftigkeit, ihre Angewohnheit, von einem Augenblick auf den anderen einen Entschluss zu fassen oder in einen Rausch der Begeisterung zu verfallen. Schließlich hatten sie zwei volle Jahre eine Schulbank geteilt. Aber wie das so ist, nach der Schulzeit hatten sie sich aus den Augen verloren. Und als sie sich zum zwanzigsten Abitur-Jubiläum wiedertrafen, da löste Lenchen – wie er Marlene früher etwas despektierlich nannte – Erstaunen, ja Entzücken aus. Denn das einst so biedere Lenchen hatte sich zu einem stattlichen, ja
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