O diese Rasselbande
I
Die Glocke hallt durch die weiten Räume des Gymnasiums. Die Türen der Klassen fliegen auf, und im Handumdrehen sind Gänge und Treppenhaus mit lachenden, schwatzenden Jungen angefüllt. Die Kleinen flitzen schubsend und rufend die Treppe hinunter, um ja schnell genug im Hof zu sein, in dem sie sich nach Herzenslust austoben können. Die Größeren sind schon ruhiger und bedächtiger. Dann folgen Jungen, die weder an den Hof noch an das Frühstücksbrot denken. Sicher haben sie eine Arbeit geschrieben, sie haben es am wenigsten eilig. Noch ganz erfüllt von den eben gelösten Aufgaben vergleichen sie ihre Resultate oder erfragen Vokabeln.
Zwischen all den Jungen gehen die Lehrer dem Lehrerzimmer zu, ihre Bücher unter den Arm geklemmt, oft genug gestoßen von all zu unachtsamen Wildlingen. Aber das macht ihnen nicht viel aus. Sie kennen ihre Pappenheimer; es ist jeden Tag dasselbe. Nur ab und zu ermahnen sie ihre Jungen oder erwischen einen der Übermütigsten beim Kragen.
Studienrat Oertel kommt mit schnellen Schritten aus dem dritten Stock herunter und wäre beinahe mit seiner mächtigen Gestalt unsanft gegen die Tür des Direktorzimmers gestoßen, die sich plötzlich vor ihm aufgetan hat.
»Hoppla“, sagt er verblüfft.
„Oh, entschuldigen Sie“, lacht Professor Oppermann, Direktor des Gymnasiums, von allen Schülern kurz der „Rex“ genannt. „Wir hatten es wohl beide eilig. Ich wollte gerade zu Ihnen, Herr Kollege. Haben Sie einen Augenblick Zeit?“
„Gewiß“, entgegnet Studienrat Oertel und betritt das Direktorzimmer.
„Bitte, nehmen Sie Platz.“ Professor Oppermann wendet sich seinem Schreibtisch zu und greift nach einem Brief.
„Ich habe da eine Neuanmeldung für Ihre Klasse, und bei den nun einmal gegebenen Umständen halte ich es für richtiger, mich erst mit Ihnen auszusprechen, bevor ich dem Vater antworte. Es handelt sich um ein Mädchen, das in Ihre Klasse aufgenommen werden müßte. Der Vater war Forstmeister in Ostpreußen, dann lebte er mit seiner Tochter, die jetzt 13 Jahre alt ist, vier Jahre lang auf dem Gut seines Vaters. Das Mädchen ist bisher immer privat unterrichtet worden, der weiten Schulwege wegen. Nun hat der Forstmeister hier in Walsrode eine neue Dienststelle bekommen, und der Wunsch, seine Tochter bei uns einzuschulen, ist verständlich. Das Lyzeum liegt drei Bahnstationen weiter als wir.“
Professor Oppermann betrachtet eine Weile sinnend den Bleistift, den er zwischen seinen Fingern hin und her dreht, bevor er fortfährt:
„Bei jeder anderen Klasse hätte ich gar keine Bedenken, denn wir haben bei den zwölf Mädchen unserer Schule durchaus gute Erfahrungen gemacht. Aber Sie wissen selbst, lieber Kollege, die UIII ist immer unsere schwierigste Klasse.“
Der Rex sieht den Studienrat voll an.
Der zieht die Augenbrauen ungeduldig zusammen. Seit dem letzten Skandal mag er nicht bei jeder Gelegenheit daran erinnert werden, daß seine Jungen immer wieder über die Stränge schlagen. Genau genommen, ihr letzter Streich grenzte schon an groben Unfug. Zugegeben, sie sind besondere Wildlinge, aber der Studienrat liebte seine UIII. Niemand allerdings hätte das vermuten können, wenn er mit dröhnender Stimme wie ein Gewitter über sie hereinbrach, was jedes Mal geschah, wenn sie einem ihrer Lehrer übel mitgespielt hatten. Nur der Rex ahnte es, denn er wußte, was er tat, als er diesem Studienrat, bei dem das überschäumende Leben mühsam gebändigt schien, diese Klasse gab, die bei allen Kollegen beinah gefürchtet war.
Studienrat Oertel fühlte sich mit seiner Klasse verbunden und glaubte, daß auch die Jungen mit ihm einig waren, da sie mit ihrem tollen Übermut bisher vor ihm haltgemacht hatten. Aber dann war die Sache mit dem Neuen passiert, die die ganze Stadt in Empörung versetzte. Sogar die Zeitung hatte einen langen Artikel gebracht, mit der fetten Überschrift:
„Sind die Erzieher unserer Kinder zu wenig Pädagogen
und zu sehr Wissenschaftler?“
Des Studienrates breite Stirn rötete sich jedesmal, wenn er an den Artikel dachte, der ihm für eine ganze Zeit den Appetit verdorben hatte.
Mit einem Schlag war der Name „Die Rasselbande“, den seine Klasse innerhalb der Schule führte, überall bekannt geworden. Er, als ihr Klassenlehrer, ging mit dem Gefühl durch die Straßen, von jedermann angesehen zu werden und jedermanns Kritik ausgesetzt zu sein.
Oh, wie er das haßte!
Er fühlte sich seit diesem Skandal von seinen Jungen bloßgestellt
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