Die Äbtissin
das sie mit Freude erfüllte. Als sie ihn mit seiner Entourage davongehen sah, musste sie daran denken, was man sich über ihn erzählte.
In einem lichten Moment hatte Doña Johanna klargestellt, dass sie die alleinige Königin war und ihr Sohn nur der Infant, solange sie lebte. Viele hatten geglaubt, der junge Kronprinz werde das qualvolle Kerkerleben seiner Mutter erleichtern, doch er hatte es im Gegenteil noch verschlimmert, indem er die Markgrafen von Denia mit ihrer Bewachung betraute. Alle Bediensteten im Palast wussten, dass die Markgrafen die Königin demütigten, wo es nur ging, doch Karl hatte sich taub gestellt gegenüber den vielen Bitten, etwas an der Situation zu ändern.
María hatte auch festgestellt, dass sich Doña Johannas Ausstattung seit ihrem ersten Besuch merklich verschlechtert hatte. Man sah kaum noch kostbare Stücke in den Räumen. An die Stelle der massiven Silberleuchter waren solche aus Bronze getreten, einige der von berühmten Künstlern signierten Gemälde waren durch andere, minderwertigere ersetzt worden. Die mit Edelsteinen verzierten Kreuze und Retabeln an den Wänden waren ebenso verschwunden wie die kostbaren Teppiche in den Salons. Übrig geblieben waren einige Porträts sowie Bücher, deren größter Wert in ihrem Inhalt bestand, denn solche mit schönen Illustrationen, goldenen Schließen oder juwelenbesetzten Einbänden waren ebenfalls abhanden gekommen.
Von einer der Nonnen, mit der sie sich während ihrer Besuche befreundet hatte, erfuhr María, dass sich Don Ferdinand während seiner einzigen drei Besuche in zehn Jahren einige wertvolle Stücke aus dem Besitz Doña Johannas angeeignet hatte; gleiches galt für seine zweite Frau Germaine. Auch Karl und seine Gemahlin hatten sich bereichert, und sogar Katharina, die geliebte Tochter, hatte eine beträchtliche Anzahl an Kleinodien ihrer Mutter an sich genommen. Offenbar hatte der König beschlossen, die Mitgift seiner Schwester aus den Schatullen der Königin zu bestreiten, der diese aufgrund ihres Zustands von geringem Nutzen sein würden.
»Sie nahmen auch einen großen Teil von Doña Johannas Schmuck«, ließ ihre Vertraute sie wissen. »Damit Johanna ihr Fehlen nicht bemerke, füllten sie die Schmuckschatullen mit Steinen. Doch die Königin hat es sehr wohl bemerkt.«
»Und was hat sie getan?«
»Nichts. Als ihr jemand zu verstehen gab, dass es ihr eigener Sohn gewesen sei, der sie an sich genommen habe, sagte sie nur, dass das Ihre auch ihm gehöre. Wenn Ihr meine Meinung hören wollt: Unsere Herrin ist bei viel größerem Verstand, als viele annehmen.«
María erinnerte sich, dass die Königin trotz ihres Wahnsinns niemals etwas getan hatte, was ihren Mann, ihren Vater oder ihren Sohn in Schwierigkeiten hätte bringen können. Als die Comuneros während des Aufstands der Comunidades Tordesillas besetzten, hatte sie nicht einmal eingewilligt, ein Dokument zu unterzeichnen, das ihr die Freiheit wiedergegeben hätte. Die Männer, die sie am meisten geliebt hatte, hatten ihr ihre Loyalität gedankt, indem sie Johanna übergingen, einsperrten und alles daransetzten, dass das Volk ihren Namen und ihre Existenz vergaß.
»Wie der Vater, so der Sohn, und wie der Großvater, so der Enkel«, sagte sich María, bevor sie ging.
Die Zahl der Nonnen und Novizinnen im Kloster von Madrigal war stetig angestiegen. Ihr geliebtes Haus wurde zu klein. Sie hatten nicht genügend Platz, um alle unterzubringen, und das Zusammenleben begann schwierig zu werden. Vom Turm aus, auf den sie immer noch hinaufstieg, um nachzudenken und die Abenddämmerung zu betrachten, konnte María die Dächer des Palasts König Johanns sehen, des Zweiten seines Namens. Er war unbewohnt. Das herrliche Bauwerk, das einmal der Mittelpunkt des kastilischen Hofes gewesen war, war verschlossen und drohte zu verfallen.
Kurz nach ihrer ersten und einzigen Begegnung mit dem Thronfolger traf María einen Entschluss. Sie schrieb an ihren Neffen und bat ihn, ihnen den Palast zu überlassen, um dort ein neues Kloster zu gründen. In die Gebäude, die zu Lebzeiten seiner Urgroßeltern und Großeltern mütterlicherseits solchen Glanz verbreitet hatten, würde wieder Leben einkehren, und die Nonnen würden jeden Tag für ihr Seelenheil beten. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: Mit Freuden überlasse Karl seinen geliebten Tanten den Palast für eine Neugründung des Klosters Nuestra Señora de Gracia. Des Weiteren werde er selbst die notwendigen
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