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Die Äbtissin

Die Äbtissin

Titel: Die Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Toti Lezea
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dagegen einzuwenden hatte, dass man ihn unter schlimmeren Bedingungen gefangen hielt als ein wildes Tier! Es dauerte eine Weile, bis sich ihre Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten. Sie erkannte einen Körper, der reglos auf einer Schütte schmutzigen Strohs in einer Ecke des elenden Lochs lag.
    »Aldonza!«, rief der Dorfschulze. »Du hast Besuch!«
    Kurz darauf stand eine Greisin unbestimmten Alters vor María. Trotz des wirren Haars, das ihr Gesicht verdeckte, und der Schmutzschicht auf ihrer Haut waren noch immer Spuren ihrer früheren Schönheit zu erkennen. Sie war sehr dünn und roch schlecht. Ihre Kleidung bestand aus Lumpen unbestimmbarer Farbe, die Füße waren mit schmutzigen Stofffetzen umwickelt.
    »Schickt dich mein Vater her? Bist du gekommen, um mich hier herauszuholen?« Es war mehr eine Bitte als eine Frage. »Ich habe lange auf dich gewartet… Ich verspreche, alles zu tun, was er und seine Frau wollen. Ich werde nie mehr widersprechen. Ich werde nicht sagen, dass sie eine Diebin ist und ihr Sohn ein Geier.« Sie umklammerte Marías Hände. »Bitte bring mich von hier fort!«
    Die Worte der armen Frau waren ein verzweifeltes Klagen, das María die Haare zu Berge stehen ließ. Der Dorfschulze erlaubte ihr, sie ans Tageslicht zu bringen, und sie spazierten durch den Hof, verfolgt von den neugierigen Blicken der übrigen Gefangenen. Aldonza hatte Schwierigkeiten, das grelle Sonnenlicht zu ertragen, und schlug die Hände vor die Augen. Ihr Wahnsinn war die Folge der endlosen Gefangenschaft. Sie konnte nicht normal denken, doch an die Gründe, die sie an diesen furchtbaren Ort gebracht hatten, erinnerte sie sich genau.
    Sie war die einzige Tochter aus der ersten Ehe ihres Vaters und hatte von ihrer Mutter ein großes Vermögen in Asturien geerbt. Der Vater hatte wieder geheiratet, eine Witwe, die ihrerseits einen Sohn hatte, der älter war als sie. Sich einen Überblick zu verschaffen und zu beschließen, dass die Reichtümer ihrer Stieftochter ihrem Sohn gehören sollten, war eines. Aldonzas jugendliche Schwärmerei für einen Bediensteten des Hauses bot der intriganten Frau die erhoffte Gelegenheit. Sie überzeugte ihren Mann davon, sie in eine Besserungsanstalt zu schicken. Alles Bitten und Weinen des Mädchens nützte nichts. Es wurde in das Büßerkloster in Madrigalejo gesteckt, so weit von zu Hause weg wie nur möglich, und dann vergessen.
    »Aldonza, erinnerst du dich an ein junges Mädchen namens Toda?«, fragte María, die Hoffnung schöpfte ob der Klarheit, mit der Aldonza ihre Geschichte erzählt hatte. »Sie war so jung wie du, als sie hierher kam.«
    »Ich erinnere mich an niemanden dieses Namens«, antwortete die Frau, während sie einen Schmetterling zu fangen versuchte, der sich in den Hof verirrt hatte, in dem es weder Blumen noch Pflanzen gab. »Wer war sie?«
    »Ein Mädchen, das eine Tochter bekam, ohne verheiratet zu sein.«
    »Ich habe keine Tochter«, stotterte die arme Frau verängstigt. »Meine Mutter starb, als ich noch klein war, und dann brachte man mich hierher.«
    »Ich weiß, meine Gute, beruhige dich. Ich werde alles tun, um dich hier herauszuholen, aber erinnerst du dich an Toda?«, versuchte sie es erneut.
    »Ich erinnere mich an niemanden. Nur an meinen Vater und meine Mutter. Hat dich mein Vater geschickt, um mich zu ihm zu bringen?«
    María sank der Mut. Die arme Frau erinnerte sich nur an das, was in ihrer Jugend geschehen war. Keine Erinnerung an all die Jahre ihrer Gefangenschaft, an ihr ganzes Leben. Sie wollte sich nicht erinnern. María wollte schon gehen, als die Alte sie plötzlich heftig am Arm packte.
    »Ich habe eine Freundin, weißt du?«, sagte sie aufgeregt. »Sie lassen mich nicht zu ihr, aber immer wenn ich kann, entwische ich ihnen und gehe sie besuchen. Komm mit!«
    María ließ sich von der Verrückten zu der ehemaligen Klosterkirche ziehen. Das Dach war halb verfallen, einige Sparren waren nach unten gestürzt und hatten die wenigen noch vorhandenen Fliesen zerbrochen. Alles war staubig und voller Unkraut und überall hatten die Ratten ihre Nester. María hatte schon immer gefunden, dass es nichts Trostloseres gab als ein verlassenes Gebäude, und dieses hier war völlig verwahrlost.
    Die Frau führte sie zu einer Seitenkapelle und schob sie zu einem schlichten, schmucklosen Grab, das halb in die Wand eingelassen war. Die Kanten waren zerbrochen und es war von einer dicken Staubschicht bedeckt.
    »Da ist meine Freundin«, sagte Aldonza und

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