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Die Äbtissin

Die Äbtissin

Titel: Die Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Toti Lezea
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sie senkte nicht einmal den Kopf, noch zeigte sie ihren Schmerz, wenn sie die schmutzigen Kommentare der Höflinge und sogar einiger ihrer Verwandten hörte.
    Eine Woche nach seiner Ankunft verließ der Mitregent von Kastilien die Biskaya, um nach Vitoria weiterzuziehen. Er ließ eine durch seine Unterstützung begünstigte Partei zurück, einen ruinierten Staatssäckel, eine unauslöschliche Erinnerung unter den einfachen Leuten und ein fünfzehnjähriges schwangeres Mädchen, dessen Zukunft höchst ungewiss war.

Madrigal, Sommer 1510
     
     
     
    Wie so oft verließ die Äbtissin an diesem Morgen nach den Laudes das Klostergebäude, statt sich in ihrer Zelle ins Gebet zu versenken. Zu ihrer Rechtfertigung sagte sie sich, dass es ihre Pflicht war nachzusehen, ob alles im Kloster seinen geordneten Gang ging, doch sie wusste ganz genau, dass dies nicht der Grund für ihre Fluchten war. Sie genoss ihre einsamen Spaziergänge, während derer sie sich für kurze Zeit frei fühlte, eine Illusion, die in tausend Stücke zersprang, sobald sie wieder das Kloster betrat. Alles war ruhig, nur gelegentlich vom leisen Zwitschern der Vögel durchbrochen, die in den Bäumen im Garten nisteten, oder vom Krähen eines Hahnes in der Ferne, das von einem zweiten weiter weg beantwortet wurde. Nicht einmal Sultan, der große Hofhund, der darüber wachte, dass kein Eindringling den Frieden der Nonnen störte, streckte die Schnauze hervor, als sie an seiner Hütte vorbeikam. Trotz des Hochsommers waren die Morgenstunden in Madrigal kühl und ließen einen durchatmen, bevor sich die drückende Hitze lastend über den Tag legte. Sie sog tief die Morgenluft ein, die den Geruch des frisch geschnittenen Korns herantrug, strich mit den Händen über einige wilde Blumen, die zwischen den Mauerritzen hervorsprossen, und betrachtete lange die Felder, die sich auf der anderen Seite der Mauer erstreckten. Der Tag erschien ihr mühselig, wenn sie nicht diese kurzen Momente völliger Einsamkeit und der Zwiesprache mit der Natur genießen konnte.
    Als die Glocke zur Terz rief, kehrte sie eilig um und mischte sich unter die Nonnen, die ohne einen Blick, ohne ein Wort der Kapelle zuströmten. Sie nahm ihren Platz im Chorgestühl ein und gab mit einem leichten Kopfnicken das Zeichen, mit der Messe zu beginnen.
    Seit fünfundzwanzig Jahren lebte sie hinter diesen Mauern. Nur wenige ihrer Mitschwestern wussten, wie alt sie waren. Sie hingegen kannte ihr Geburtsdatum, weil sie ein Marienmedaillon um den Hals trug, auf dessen Rückseite ihr Name stand, María Esperanza, und ein Datum, der 15. April 1477. Folglich war sie dreiunddreißig Jahre alt. Draußen in der Welt wäre sie bereits eine reife Frau gewesen, im klösterlichen Leben jedoch war sie noch jung, denn die meisten Nonnen erreichten durch das beschauliche, zurückgezogene Leben im sicheren Hort des Konvents ein sehr hohes Alter, nicht zuletzt deshalb, weil es dort nie an einem Teller Suppe mangelte. Es war eine Ehre, in so jungen Jahren Äbtissin zu werden, und sie hatte dieses Amt seit fünf Jahren inne. Wieder einmal fragte sie sich nach dem Grund für diese Ehre, denn das Amt war Frauen aus adligen Familien oder von tiefster Frömmigkeit vorbehalten, und sie hatte weder das eine noch das andere vorzuweisen. Sie konnte sich nicht mit Doña María Díaz vergleichen, der Dame, die das Kloster gegründet hatte, einen Ort der Beschaulichkeit inmitten der gehetzten Welt, noch besaß sie den Opfergeist der frommen Mathilde, die sich harten Bußen und Kasteiungen unterwarf, um Gottes Gegenwart in ihrer Seele zu spüren.
    Aus welchem Grund war sie hier? Sie konnte sich nicht erinnern. Einige der Nonnen waren als Neugeborene vom Kloster aufgenommen worden. Normalerweise handelte es sich um Mädchen aus bitterarmen Familien, die ihre Töchter vor der Tür des geweihten Ortes ablegten, um so ihr Überleben zu sichern. Andere wiederum waren Früchte illegitimer Liebschaften, deren Eltern ihre Ehre nicht aufs Spiel setzen wollten. Die meisten indes waren als junge Mädchen in den Orden eingetreten, weil ihre Familien es so entschieden hatten, und unterhielten mittels Briefen und Besuchen Beziehungen zu den Ihren. Sie hingegen wusste weder, woher sie kam, noch, wer ihre Eltern waren. Manchmal versuchte sie sich an die ersten sieben Jahre ihres Lebens zu erinnern, doch es gelang ihr kaum. Ein paar Schemen, mehr nicht. Ihre Erinnerungen verloren sich mit dem Moment, in dem sie die Schwelle des Klosters

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